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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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Eiswaffeln in den Pranken wie bedauernswert kleine afrikanische Rasseln. Außerdem kam von Irja bereits tuut-tuut.
    Sobald er sich im Auto untergebracht hatte, reichte mir mein Sohn ein Eis und sagte: »Es gab keine Blumen, da hab ich die gekauft.« Dann saß er eine Weile schüchternlippig schweigend da und sagte schließlich: »Vertragen wir uns wieder, ja?«
    Ich nahm die Tüte zwischen Zeigefinger und Daumen. Es war die Sorte »Königin«, vertraut von früher, aus einer Zeit, als ich wegen meines Sohnes alle möglichen süßen Sachen genascht hatte. Aber wieso war die Tüte nur noch halb so groß wie damals? Gab es neuerdings einen Gesundheitsparagrafen, Speiseeis betreffend? Als ich das klebrige Einwickelpapier von dem bereits zu schmelzen beginnenden Eis riss, bemerkte ich die mit stilisiertem Lorbeerkranz versehene Jubiläumsklassifizierung auf dem Pappdeckel, der den Gipfel des Eises abdeckte, und begriff, dass mich mein armer Sohn mit einer kostenlos verteilten Probe zu besänftigen versuchte. Aber warum auch nicht? Bei aller peinlichen Ungehobeltheit hatte es doch etwas Rührendes und Schönes. Fast wären mir die Tränen gekommen.
    Am liebsten hätte ich ihm gesagt, du bist ein guter Junge. Aus meinem Mund kam aber nur »guter Junge« heraus. Es klang, als redete ich zu einem Hund.
    Er schien es nicht zu bemerken, mein Junge, sondern lächelte gewissermaßen in sich hinein und kurvte dann, die Tüte im Mund, was gefährlich aussah, auf die Mäkelänkatu zurück. Binnen wenigen Sekunden rannen ihm weiße Schmelzbäche aus den Mundwinkeln, aber trotz allem gelanges ihm, sich zwischen Lastern und Bussen einzufädeln und unter Streifung einer Verkehrsinsel auf die mittlere Spur zu gelangen, die uns ziemlich bald auf die Autobahn brachte. Von der war mehr als genug da, von nennenswerter Landschaft rechts und links jedoch nur wenig, auch redeten wir nicht viel, wir befanden uns im Waffenstillstand, den tastete man besser nicht an. Als mein Sohn sein Eis vertilgt hatte und durch Korso hindurch zur Autobahn nach Kerava abkürzte, sprang mir an der Kreuzung ein kleines altes Auto ins Auge, das an einem Schild sein Leben ausgehaucht hatte. Gelbe Luftschlangen der Polizei flatterten im Wind, die Scheiben waren eingeschlagen, Spiegel und Räder und wahrscheinlich auch alles andere nicht Niet- und Nagelfeste gestohlen. Auf dem verbogenen blauen Schild stand in weißen Buchstaben »Alakulomäki«, ich konnte nicht sehen, ob ein Bindestrich zwischen »Ala« und »Kulomäki« in einer Blechfalte verschwunden war, wahrscheinlich schon, denn »Unter-Rodungsberg« klang wahrscheinlicher als »Wehmutsberg«, trotzdem passte das alles derart gut zu der zwar regenlosen, aber nassen, melancholischen Herbstszenerie, dass mir der Gedanke kam, noch einmal herzufahren und ein bisschen durch die Umgebung zu streifen.
    Sobald wir wieder auf der Autobahn waren, wurde ich Zeugin, wie auf dem verlassenen Parkplatz einer scheinbar aufgegebenen Gewerbehalle ein kleiner Luftwirbel einen Zylinder aus gelben Blättern formte. Dann ermüdete das Wetterphänomen abrupt, und die Laubskulptur fiel in sich zusammen wie ein Mensch, der von plötzlichen Magenkrämpfen befallen wird, und sackte zu Boden. Dann – ich weiß nicht, was ich schon wieder für einen Aussetzer hatte – waren wir auch schon in Kerava.
    »Wo soll ich dich absetzen?«, fragte mein Sohn, beim Bremsen auf der Abfahrt.
    »Wo sind wir denn?«, fragte ich zurück. Ich kam mir vor wie aus einem Tagtraum erwacht. Mein Sohn sagte, wir seien praktisch in Kerava, dabei klang wieder dieser stichelnde Unterton durch. Hatte er unsere Versöhnung schon wieder vergessen?
    Ich schimpfte deswegen aber nicht mit ihm, sicher war auch er bloß in Gedanken. Ich sagte: »Wir fahren weiter«, und er sagte: »Das tun wir doch die ganze Zeit«, was ich gar nicht erst kommentierte; ich blickte bloß nach vorn, wo Familienautos und der flache Teil von Kerava auftauchten und über allem der wie ein altes Hemd ausgebleichte Himmel. Wir erreichten eine Kreuzung, mein Sohn fragte streng, ob Unter-Kerava oder Ober-Kerava, woher sollte ich das wissen, überhaupt fing es in mir an zu zwicken, als steuerten wir eine Notsituation an, aus der jemand gerettet werden musste, mein Sohn vor Irja, Irja vor meinem Sohn, jeder vor jedem; die Lage war so heikel, dass man besser nichts durcheinanderbrachte, bevor, na ja, sich alles irgendwie beruhigt hätte und wir zum Beispiel Kaffee tranken, alle zusammen, oder was

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