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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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auch immer. Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, dass ich meinen Sohn jetzt nichts kaputt machen lassen durfte, auch wenn er noch so ein guter Junge war.
    »Fahr nur weiter, immer weiter«, ermunterte ich ihn, während wir ohnehin weiterfuhren, und so fuhren wir geradeaus weiter, obwohl wir dabei ziemlich oft abbiegen mussten. Wir passierten das Zentrum, fuhren schließlich nach rechts und befanden uns auf einer Straße, die mir andeutungsweise bekannt vorkam, weshalb ich meinen Sohn anhielt, geradeausweiterzufahren, dann aber auch rechts und links abzubiegen, und gerade als ich glaubte, mich komplett verirrt zu haben, merkte ich, dass wir doch durch eine vertraute Gegend rollten, vermutlich waren wir im Kreis gefahren und genau zu der Bushaltestelle gekommen, von der aus der Fußweg zum Parkplatz vor dem Haus der Jokipaltios und Jalkanens und zu der altbekannten Kiefer führte. Schon überkam mich die Lust, mich in aller Ruhe an den Baum zu lehnen, aber ich traute mich nicht, meinen Sohn so dicht vorm Haus anhalten zu lassen.
    »Hier!«, kreischte ich, als wir noch einmal links abgebogen und ein Stück die Straße entlanggefahren waren, auf der es rechts und links genau so aussah wie in allen Wohnblockvierteln im Süden Finnlands. Es kam eine Haltestelle, und in einiger Entfernung sah man den inzwischen vertrauten Betonklotz durch das Wäldchen hindurchschimmern. Zwischen den Bäumen quälte sich eine Schar kleiner Kinder auf kleinen Fahrrädern voran. Sie trugen neongelbe Westen, und bei den meisten ragte hinter dem Sattel eine Stange mit orange leuchtendem Wimpel auf.
    »Aha«, sagte mein Sohn, nachdem er das Auto zum Stehen gebracht hatte, eher abschätzig als wertschätzend, worauf seine Unterlippe sich zu einer unzufriedenen Schippe vorschob. »Wie lange brauchst du?«
    Ich ächzte und sagte, es könne länger dauern, worauf er wissen wollte, wo. Ich erwiderte, ich müsse das eine oder andere erledigen, er solle einfach nach Hause fahren und alles vergessen, was er gesehen und gehört habe, und darüber schweigen, diese Abmachung sei gegenseitig, auch ich würde kein Wort verlauten lassen, sondern stillschweigend mit dem Bus nach Hause fahren. Er guckte mich mit wässrigen Augenan und sagte bloß: »Ach.« Und es war unmöglich zu entscheiden, ob sein Ach für etwas Unfreundliches stand oder ob ihm etwas wehtat.
    »Verstehst du jetzt keinen Spaß mehr?«, fragte ich so heiter wie möglich, klopfte ihm auf die Schulter und sprang aus dem Auto. Allerdings ließ ich die Tür offen, und da ich ohnehin nicht genau wusste, wo ich hingehen sollte, blieb ich an der Bushaltestelle stehen, kramte in der Handtasche und fummelte an meinem Handy herum und versuchte, wichtig zu wirken. Ich wartete, wartete und wartete, dass mein Sohn endlich auf die Idee käme, loszufahren.
    Irgendwann kam er auch darauf. »Wir telefonieren morgen«, rief er übertrieben munter und knallte dann die alte Autotür mit Gewalt zu. Er musste erst
     den hüstelnden Motor aufheulen lassen, dann drehte er um, tuckerte davon und ließ mich allein an der Bushaltestelle stehen, an einem fremden Ort, von dem
     sich unmöglich sagen ließ, ob er sich nun in Ober-, Unter- oder Mittel-Kerava befand, der aber den Eindruck machte, als stünde er in jeder Hinsicht still
     und wartete auf etwas.

Ich weiß nicht genau, warum ich nicht wollte, dass mein Sohn näher an Irjas Haus herankam, ich wollte die Dinge einfach nicht miteinander vermengen, aber mich beschlich der Verdacht, er könne noch in der Gegend herumgurken, mein Sohn, mit seinem Auto, und darum traute ich mich nicht, direkt zu Irja zu gehen, sondern steuerte geradewegs das nächste Haus an. Es thronte in vielleicht hundert Metern Entfernung und sah auf den ersten Blick so viereckig, glattfassadig und vergessensgrau aus, dass man sich in seiner Farblosigkeit und rechteckigen Einsilbigkeit keinerlei Leben vorstellen konnte.
    Er stand inmitten eines spärlichen Kiefernwäldchens, der vierstöckige Klotz. Die gleichförmigen schwarzen Fenster schmollten in gleichförmigen Reihen vor sich hin. Ich ging über die Anhöhe mit dem Wäldchen, dort strampelten kleine Jungen wie wild auf ihren Fahrrädern über die Wurzeln und machten mit den Lippen Motorengeräusche, einer von ihnen verlor das Gleichgewicht und kippte um. Er blieb liegen, verzog den Mund und sah mich so düster an, als hätte ich den Unfall verursacht.
    »Böser Onkel«, sagte er.
    »Nein, liebe Tante«, sagte ich und half ihm auf. Er

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