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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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schließlich und grinste und schlug die Hände zusammen. Ich musterte ihn. Wo hatte er solche Marktschreiergesten gelernt? Soweit ich wusste, hatte er nie etwas verkauft.
    »Ich brauch das nicht«, sagte ich, »das weißt du genau.« Allerdings, fügte ich hinzu, könne ich eine Mitfahrgelegenheit gebrauchen.

»Müsstest du nicht krankgeschrieben sein oder so?«, fragte mein Sohn und rammte den zweiten Gang rein. Wir fuhren ums Runde Haus herum, mein Sohn war irgendwo falsch abgebogen und fand beim besten Willen die Hämeentie nicht. Das alte Auto klapperte und quietschte, als es auf die Temposchwelle vor dem Zebrastreifen traf.
    »Ja, ja«, brummelte ich wie ein Kind. »Ich muss nur was erledigen.« Auch ohne hinzuschauen wusste ich, dass mein Sohn misstrauisch in meine Richtung linste.
    Ich blickte durchs Seitenfenster auf Geschäfte, Kneipen, Cafés, Lebensmittelläden, Bäume, Büsche, Hunde und ihre Ausführer, Tauben, Möwen, auf alles, was da kam und dann sozusagen wieder weggerissen wurde. Man brauchte an keinem Gedanken lange zu kleben. An der Kreuzung von Porthaninkatu und Zweiter Zeile schob mitten auf der Fahrbahn ein selbst schon ziemlich wackliger Mensch weiblichen Geschlechts einen im Suff eingenickten Mann im Kinderwagen vor sich her. Dem Fahrgast war der Kopf auf die Brust gesunken, und von der Unterlippe führte ein zitternder Speichelfaden zu der Bierflasche, die zwischen seinen Beinen aufragte. Die Autohupen lärmten, die Straßenbahn bimmelte, die Leute riefen. Ein Taxifahrer schwenkte wie von Amts wegen die Faust, konnte gegen die menschliche Naturgewalt jedoch nichts ausrichten und brach darum in Gelächter aus.
    »Ist das jetzt die Zweierzeile?«, fragte mein Sohn in der Zweiten Zeile. Ich verbesserte mütterlich seinen Sprachgebrauch und befahl ihm, die Nächste links abzubiegen. Er tat, wie ihm geheißen, aber unnötig temporeich und zackig, wie um sein aufgeplatztes Selbstwertgefühl zu flicken; für Männer scheint es immer ein schwerer Schlag zu sein, wenn beim Autofahren mal was schiefgeht. Die leeren Dosen und Flaschen im Kofferraum rollten scheppernd hin und her, aus irgendeinem Grund schob sich mir das Bild von der Tanzfläche im Nachtclub eines Fährschiffes bei Sturm vors innere Auge.
    Es herrschte keine Stoßzeit, aber auf der Hämeentie krampfte sich der Verkehr trotzdem immer wieder zusammen und kam nur zuckend vorwärts, er erinnerte an ein sehr langes und todesqualhaftes … na ja … Etwas. Schwer zu sagen, was genau, was es halt so gab an Viehzeugs, an langen sterblichen Kreaturen, Schlangen, vielleicht Aale, vielleicht auch eine Pflanze, falls man die mitzählen durfte, solche Dinge gingen mir durch den Kopf, dann aber fing mein Sohn wieder an zu reden, und ich konnte oder musste mich von den nutzlosen Gedanken verabschieden.
    »Im Ernst, Mama«, sagte er. »Ist bei dir alles in Ordnung?«
    Ich blickte in seine Richtung. Er blickte nicht zurück, sondern konzentrierte sich aufs Fahren, es schien tatsächlich Konzentration zu verlangen, das Lenkrad war irgendwie schief, die Gänge machten einen brutalen Lärm, und überhaupt ging es die ganze Zeit wie im Schluckauf vorwärts.
    »Wo kommt es her?«, fragte ich nun. »Das Auto.« Und da er nicht antwortete, sondern nur anlässlich der nächsten Verstopfung hüpfend bremste, weil eine Spur gesperrt und durchein schlundartiges, dampfendes Loch ersetzt worden war, fuhr ich fort: »Es scheint nicht so wahnsinnig gut in Schuss zu sein.«
    »Es gehört mir«, sagte mein Sohn und schien dabei auf die Stoßstange des vor uns kriechenden Lieferwagens zu starren. »Das meine ich ja gerade; alles läuft auf meinen Namen, Zulassung, Versicherung, alles halt. Da hättest du eine Zeitlang ein gutes Auto, weil …«
    »Wo hast du das …?«, wollte ich wissen. Mir war bewusst, dass sie unvollendet blieb, die Frage, aber ich brachte plötzlich nicht mehr den Willen auf, sie zu Ende zu bringen.
    »Das gehörte einem Bekannten«, antwortete mein Sohn. »Einem guten Bekannten, der gut aufgepasst hat, der Bekannte, auf das Auto. Und jetzt übernimmst du es eine Zeitlang, weil ich wegmuss.«
    »Weg«, sagte ich eisiger als beabsichtigt. Aus irgendeinem Grund erinnerte mich meine eigene Stimme an den bereiften Grund eines Drainagegrabens in einer Frostnacht, obwohl ich eigentlich nicht besonders viel Erfahrung mit Drainagegräben und deren Böden habe.
    »Das ist bloß so eine Art Reise«, nuschelte er schnell aus dem Mundwinkel heraus und

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