Der Tag der roten Nase
losgekoppelte flattrige Bewegungen auf dem Asphalt.
Aus gewissen Gründen hatte ich mich schon den halben Tag ziemlich schuldig gefühlt, aber auch wenn mein Hirn natürlich allmählich begriff, dass das Furcht einflößende Wesen kein Blut verlangte, sondern vermutlich so etwas wie Saft, so löste es doch die schauerliche Vorstellung bei mir aus, der Mann könne eine Unstatthaftigkeit im Sinn haben. Und das war, Gott bewahre, natürlich nicht seine Schuld, er war ja bloß ein Ausländer, der zwei Wörter verwechselte, aber wieso nur, ein Ausländer ist ein Ausländer, irgendwo aus der Mittelmeergegend stammte er vermutlich, der Hautfarbe und dem Pinselschnurrbart nach zu schließen, mein Sohn hätte ihn vermutlich pauschal als Assyrer bezeichnet, das Wort benutzte er, seit ich ihm einmal wegen ziemlich tendenziöser Charakterisierungen die Leviten gelesen hatte.
Natürlich fragte ich mich dann auch, ob ich im Zuge eines naturwidrigen Umkehrmechanismus von meinem Sohn die Vorurteilsneigung geerbt hatte und Ausländer sofort als Gauner verdächtigte, aber für großartige Schämereien blieb mir keine Zeit, weil der Mann wieder das Wort ergriff. Inzwischen verstand ich ihn schon besser, vielleicht hatte auch er sich gefürchtet, einen fremden Tantenmenschen anzusprechen, wer weiß, aber jetzt setzte er mir jedenfalls gründlich auseinander, dass er tatsächlich Saft für sein Auto brauchte. Ich wagte es, ihn anzuschauen. Da das Blut nun keine Rolle mehr spielte, sah er von den Gesichtsformen her eigentlich ganz freundlichaus. Er hatte fröhliche Augen, ein üppiges und selbstzufrieden im Rhythmus der Worte mitschwabbelndes stoppeliges Kinn und einen ulkig dicken Schnurrbart, der auch dann unter seiner Nase tänzelte, wenn er nichts sagte. Und dennoch, all diesen mildernden Umständen zum Trotz, nahm ich den ersten auf der Stirn landenden Regentropfen mit ziemlicher Erleichterung wahr. Im Dämmer des Nachmittags wirkte es, als sickerte er aus dem gepressten Abendlicht.
»Es fängt an zu regnen«, sagte ich mit kragengestärkter Stimme und fügte etwas in dem Sinn hinzu, dass ich kein Kabel hätte, keinen Saft, kein Blut, was auch immer. Nichts. Und meine Batterie scheine auch in schlechtem Zustand zu sein. Dann fasste ich noch ein bisschen mehr Mut, schoss eine ordentliche Ladung Tutmirleids ab und wünschte dem betreffenden Fahrzeug frisches Blut und neues Leben, ich müsse jetzt aber gehen. Und dann ging ich auch schon, mit forschen Schritten auf das Haus zu, wobei ich etwas seltsam Schweres, Gemeines und Verachtenswertes auf meinen Schultern lasten spürte.
»Schönen Dag dir!«, rief er mir noch herzzerreißend fröhlich hinterher.
Selbstverständlich wünschte ich auch ihm eine Tagverschönerung, aber ich murmelte es in meinen Schal, bevor ich um die Ecke bog. Dort blieb ich einen Moment stehen, um durchzuatmen. Im Sandkasten saß ein düster dreinblickender, untätiger Knirps, für den ich jetzt allerdings keine Zeit hatte, denn allmählich dämmerte mir wieder, wie dringend ich eigentlich in die oberen Etagen musste, und das Kind las wohl auch kaum das Lokalblatt. Der Mützenmann jedoch, der mir an der Haustür mit der Mülltüte entgegenkam, las es, das sahich ihm sofort an, er hatte einen ganz leicht rötlichen Zweifel in den braunen Augen. Als er mir aus lauter Widerwillen unbeholfen die Tür aufhielt, schlüpfte ich unter seinem Arm hindurch ins Treppenhaus, als wäre genau das die am wenigsten Misstrauen erweckende Verhaltensweise. Bei dieser merkwürdigen Methode, das Haus zu betreten, nahm ich flüchtig den Achselgeruch eines sehnig-trockenen Sechzigjährigen wahr, der einen anständigen Lebenswandel hatte und nicht mehr ständig schwitzte, also kein Deo mehr brauchte.
Schnell war ich an der Tür der Jokipaltios und zwang mich, zu klingeln, bevor ich es mit der Angst bekäme. Dann bekam ich es mit der Angst.
Die Tür schwang jedoch sofort auf, mit dem Resultat, dass ich sicherheitshalber einen Satz nach hinten machte. Irja stand vor mir. Sie hatte ein Kopftuch auf und einen Lappen in der gummibehandschuhten Hand und in den Augen den Blick der gnadenlosen Putzerin. Ich versuchte ihrer Miene etwas zu entnehmen, irgendein Indiz dafür, ob sie die Meldung bereits gelesen hatte, erlangte jedoch keine Gewissheit. Zwar spuckte sie mir weder Feuer noch Galle ins Gesicht, fiel mir aber auch nicht um den Hals, sondern sagte bloß Hallo.
»Komm rein«, sagte sie. »Ich bin gerade fertig, so.« Dann verpasste
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