Der Tag der roten Nase
noch mit dem Unterboden auf einem Stein oder sonst etwas Hartem aufsetzen, bevor ich endlich auf den vertrauten Parkplatz einbog und einen wehmütigen Blick auf den Kiefernstamm warf, an den ich mich schon so oft gelehnt hatte.
Der Motor gab ein lang gezogenes, leidendes Wimmern von sich, als ich das Auto mit der Nase voran zwischen zwei große Familientransporter krauchen ließ. Ich versuchte den Schlüssel zu drehen und den Motor auszumachen, da merkte ich, dass er bereits vor einer Weile verstummt war. Es dauerte, bis ich mich in der Wirklichkeit des plötzlich versiegten Stroms aus Verkehr und Lärm orientiert hatte. Der Wind säuselte in den Dichtungen, irgendwo in Richtung Motor knackte es, ein unscheinbares Frühteenagermädchen schlurfte vorbei, das etwasKleinformatiges, aber offenbar Lebendiges an der Leine hatte. Ich zog den Kopf ein.
Dann stieg ich aus. Am liebsten würde ich sagen, ich stieg einfach so aus, aber so ging es natürlich nicht, einfach so, denn ich musste mich erst auf den Beifahrersitz und zur dortigen Tür wuchten, die dann sofort aufging und gegen das nebenstehende Auto stieß. Das alles musste dermaßen nach einer komischen Limbo-Variante aussehen, dass ich an Irja denken musste, in der Hoffnung, sie würde mir nicht schon von irgendwoher zuschauen.
Weiter kam ich mit meinen Überlegungen nicht, weil sich sofort ein Furcht einflößender Mann auf mich stürzte, nachdem ich mich endlich aus dem Spalt
zwischen den Autos herausgewunden hatte.
»Isch brauch Blud«, rief er und knetete die Luft mit Händen, die mit so dichten schwarzen Haaren überzogen waren, dass es aussah, als trüge er Handschuhe. Ich stand völlig durcheinander im rauen Wind auf einem Parkplatz in Kerava, und da war es letzen Endes schwierig, mehr zu tun, als den rufenden Mann anzustarren und zu versuchen, irgendwie das Zittern zu bändigen, das erneut meine Beine ergriffen hatte, als wäre irgendwo dort unten mit Straßenbauarbeiten begonnen worden.
»Isch brauch Blud«, spektakelte er. »Blud!«
»Entschuldigungwiebitte?«, winselte ich. Wobei das Winseln nach der zum Flüstern geschrumpften Äußerung traurig dünn blieb.
»Hassu Blud?«, fragte der Mann. »Isch brauch welsches.« Zur Untermauerung zeichnete er mit der Pranke etwas Illustrierendes in die Luft, was für mich allerdings am ehesten nach zum Heulen unbegreiflichen Bögen aussah.
»Entschuldigung, aber ich verstehe überhaupt nichts«, sagte ich.
»Blud«, sagte er und breitete die Arme aus. Ich hatte Angst, kam aber nicht zur Besinnung, weil er schon weiterredete: »Blud. Du Audo, isch Audo, isch nischt Audo. Oder doch isch Audo. Isch Audo, isch Audo, aber isch Audo nischt geht. Nischt geht. Gehen. Du geht, Blud, du Blud. Baderie.«
»Ahaa«, sagte ich.
»Ja. Baderie.«
»Genau.«
»Sag isch doch«, sagte er und sagte dann noch einmal das mit dem Blut.
Es dauerte einen Moment, bis sich irgendwo im Bewusstsein ein erster Streif von Verständnis abzeichnete; dort hatte zwar immer noch der grauenvolle Blutdurst die Vorherrschaft, aber dann kam auch alles Mögliche andere hinzu, das grünlichgraue Kerava, das feuchte Blech der Autos, Kinderstimmen, die ab und zu aus der Ferne angeflogen kamen, die merkwürdige, irgendwie bemooste Stadthaftigkeit. Mir war schlecht, schwindlig und zum Heulen. Am liebsten hätte ich einen Knopf gedrückt, der die ganze Pein ausgeschaltet hätte. Aber es half nichts, nein.
»Hassu Gabel?«, fragte der Mann als Nächstes. Ohne etwas zu begreifen starrte ich ihn an, aber was heißt starrte, ich traute mich gar nicht, ihm in die Augen zu sehen, sondern schielte ein paar Zentimeter daran vorbei aufs Dach des Wohnblocks, an dessen Ecke ein Luftballonrest hing, den man vor zwei Jahren sicherlich als rosa definiert hätte, der jetzt aber aussah, als könnte man seinem verblassten Farbton nur noch mit einer einzigen Reaktionsvariante begegnen: mit Melancholie. Und dann merkte ich, dass ich mich wieder einmal ganz woandershin verirrt hatte, denn der Mann sagte erneut: »Gabel. Du Gabel?«
Die Worte kamen geradezu aufrichtig hoffnungsvoll heraus, und wie um noch zu unterstreichen, dass sie von Herzen kamen, hob er einen seiner Augenbrauenbalken karikaturhaft weit nach oben, es sah aus, als würde der einzelne Haarstreifenmit einem Stoß die ganze Haarabteilung des Mannes in Richtung Hinterkopf befördern. Ich konnte nur den Kopf schütteln und die Füße ihr eigenes Leben führen lassen, sie unternahmen von mir vollkommen
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