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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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kam direkt an die Druckwerke heran. Sie quollen aus drei verschiedenen Fächern hervor, und als ich an einem der Blätter zog, klatschpadatschten alle anderen aus derselben Tasche auf Boden, wo ich sie dann in Wahnsinnseile zuammenraffte und gesammelt zurückstopfte. Leicht war das nicht. Es gab da alles Mögliche an hochglänzenden, glatten Illustrierten für die Hausfrau, den Naturfreund, den ruhelosen Teenager und auch für den Automobilisten, und wenn man sich an einer systematischen und ruhigen Betrachtung hätte versuchen wollen, wäre ein solcher Versuch spätestens in dem Moment ins Leere gelaufen, als an der Wohnungstürein Poltern und undeutliches Geschnatter ertönte. Ich verstand kein Wort.
    Was ich allerdings begriff, war, dass der Zeitschriftenhalter keine Zeitung enthielt.
    Wieder lotete ich die Küche aus. Ich spürte förmlich, wie meine Augen aus dem Kopf traten oder sich zumindest gespannt vorwölbten. Der Flur pustete mir einen Luftstrom an die Schläfe, in dem Stimmen, Türquietschen, ein unpräzises Huhuh, ein Bängbäng aus dem Fernseher im Wohnzimmer und Getuschel von der Tür mitschlingerten.
    Dann, gerade als ich viel zu lange zwei Sekunden auf den Hefekranz, der auf dem Spültisch thronte, gestarrt hatte, sah ich sie. Sie lag auf dem Fußboden, unter dem Küchentisch, oder genauer gesagt direkt unter meinem Stuhl, wahrscheinlich war sie Irja beim Putzen heruntergefallen, denn es war schwer zu glauben, dass sie der Typ war, der Sachen auf den Boden warf, jedenfalls lag sie dort, die Zeitung, die richtige, daran bestand kein Zweifel, auf der Titelseite das gleiche schmelzkäseartige Ministerpräsidentengesicht wie früher am Tag auf Virtanens Couchtisch. Auch seit diesem Zeitraum schien, na ja, ein ganz schöner Zeitraum vergangen zu sein. Im selben Moment langte ich auch schon kopflos nach der Unterstuhlvisage und den sich dahinter verbergenden Entsetzlichkeiten, und kaum hatte ich die Postille an einer Ecke erwischt, hörte ich Irjas Stimme im Flur. Sie rief nach mir.
    Und da, als ich auf der Stelle erstarrte, wusste ich genau, dass ich genau das nicht hätte tun dürfen: erstarren. Aber ich konnte mich auch nicht mehr in Bewegung setzen, sondern kniete mit hochgerutschtem Rock unter dem Tisch und hielt den Atem an wie das kindlichste aller Kinder oder dasdümmste der dummen. Es rauschte in meinen Ohren und auch in den Augen schien sich roter Schaum zu stauen. Die Knie taten mir weh.
    »Irma!«, erschallte es erneut im Flur.
    Da mir sonst nichts einfiel, stopfte ich mir die Zeitung unter die Bluse. Mühsam machte ich Anstalten, mich unter dem Tisch herauszubefördern, Rock und Mantel sträubten sich und rutschten noch weiter nach oben, mir flatterte das Herz; natürlich hatte es die ganze Zeit gerappelt, aber jetzt war es schwer, etwas anderes als sein Nachbeben in den Schläfen zu hören. Nicht dass ich in dieser Situation scharf darauf gewesen wäre, die anderen Geräusche zu hören, das lange, reißverschlussartige Krachen der Strumpfhose, das Keuchen meines Atems, und schon gar nicht das näher kommende Stapfen von Schritten, jenes Geräusch, das ich rechtzeitig hätte hören sollen.
    Als das Stapfen erst pausierte, nachdem ich es wahrgenommen hatte, und Irjas tiefes Lachen freigesetzt wurde, überkam mich ernstlich das Gefühl, nun alle Fluchtmöglichkeiten ausgeschöpft zu haben: Ich konnte nichts mehr tun, als ihr meinen Hintern entgegenzustrecken.
    Mit einem Lachen wäre ich wahrscheinlich aus der Nummer herausgekommen, aber mir war nicht nach Lachen zumute. Gern hätte ich einen Witz gerissen wie, es ist nicht das, wonach es aussieht, aber aus meinem Mund drang nur Gesäusel und Gewimmer. Und als ich endlich mehr herausbrachte und unter den Wachstischdeckensäumen hervor formulieren konnte, mir sei ein Ohrring heruntergefallen und aus völlig unfassbarem Grund auch noch hinzufügte, nein, das Taschentuch, hatte ich noch weniger Lust, unter dem Tisch hervorzukommen.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Irja dann von irgendwoher und wie mit einem Schellenklingeln.
    »Was?«, fragte ich in einer Mischform aus Ächzen und kurzem Wimmern und rappelte mich auf, obschon ich mich am liebsten mit dem Gesicht voran auf dem blitzblanken Fußboden flach ausgestreckt hätte. Die Fingernägel schabten übers Linoleum und knirschten, die Zeitung raschelte unter der Bluse und die Strumpfhose knirschte nur so, und wieder war etwas witzig, also für Irja, sie musste lachen, während es mir schwerfiel,

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