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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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etwas anderes als Panik zu empfinden. Mit dem Hinterteil voran stieß ich rückwärts unter dem Tisch hervor, kam in einigermaßen sinnvoller Reihenfolge auf die Beine, stand da, in Gottes Namen, stand da, und sie stand auch da, Irja, direkt vor mir, und gab sich eindeutig Mühe, so zu tun, als hätte sie all das nie und nimmer gesehen.
    Ich streckte den Rücken durch, so gut es ging, schob die Hände in die Manteltaschen, stößelte darin herum und sagte: »Ja also das Taschentuch. Das. Taschentuch. Ist runtergefallen.«
    Irja sah mich eine Weile mit schief gelegtem Kopf an, gab ein Aha von sich und zupfte einen stecknadelkopfgroßen Fussel von meinem Mantelärmel. Dann sagte sie mit leicht melancholischem Unterton: »Da habe ich aber schlecht gewischt. Na, wie auch immer«, fuhr sie fort. »Die Jalkanens stehen vor der Tür.«
    Zunächst konnte ich nicht mehr sagen als: »Ach so.« Dann kam mir in den Sinn, was ich ihnen angetan oder vielmehr vorgelogen hatte, und ich fragte mich, ob ein Komitee das nun alles aufarbeitete, nach dem Motto: Da sitzt sie in der Küche, die falsche Umfragerin, sollten wir uns nicht mal ein bisschenmit ihr unterhalten? Trotz allem ging ich schicksalsergeben in den Flur, etwas anderes konnte oder wagte ich nicht; aus der fernsehflimmernden Öffnung der Wohnzimmertür drang das kreditwürdige Schwatzen des Nachrichtensprechers, und im Flur versuchte ich ein briefmarkengroßes Grafikblatt zu erkennen, von dem man unmöglich sagen konnte, ob es eine Birne oder einen Schädel zeigte; und obwohl ich noch dazu kam, zu denken, es handle sich ja immerhin um Kunst, weshalb eine Birne-Schädel-Kombination durchaus möglich wäre, so war es doch schwierig, weiterreichende Untersuchungen anzustellen, auch wenn ich noch so gern stehen geblieben wäre, um alle möglichen Ablenkungen zu bestaunen.
    Da war sie, die Tür, gleich hinter der Ecke, und auch ich war ganz bald dort, weil ich kurz mein Hirn ausschaltete und die Füße handeln ließ. Sie schauten mich alle vier an, Irja natürlich in erster Linie, und dann die im Türrahmen eingezwängte Jalkanen-Mischpoke, alle ein bisschen irritiert wirkend. Der Grund dafür lag auf der Hand, wahrscheinlich fürchteten sie sich vor meiner Furcht einflößenden Erscheinung.
    Die einzige Person, die wenigstens einigermaßen über allem zu stehen schien, war das Baby auf dem wippenden Arm der Mutter. Es staunte die Perlenfäden der Deckenlampe an und lächelte schief in sich heinein.
    »Sieh an, hallo«, sagte ich dünn.
    »Hallo«, erwiderten die erwachsenen Jalkanens in kaum wahrnehmbarem Kanon und sahen mich mit zur Seite gelegten Köpfen an. Ich versuchte, auf ihren Gesichtern Anhaltspunkte dafür zu entdecken, was sie wirklich dachten, ob sie die Zeitung gelesen hatten, aber es war unmöglich, etwas herauszufinden,sie standen bloß da und guckten. Und dann fing ihr Mädchen, das mit dem discounterartigen Namen, genau, dann fing ihr Mädchen endlich an zu quengeln und gleich darauf zu schreien und schließlich zu brüllen, und von all den Gefühlsäußerungen gehörte das Letztere schon allein von der Lautstärke her einer Kategorie an, die einen trotz aller Beklemmung auf den Gedanken brachte, wie lustig es eigentlich ist, dass in ein so kleines Wesen so viel Stimme passt.
    Irja durchbrach dann die allgemeine Sprachlosigkeit und sagte: »Ei, ei, was sich das Kleine ärgern muss.«
    »Ei, ei«, sagte auch ich irgendwie gepresst. Dann, ohne meinem Lautausstoß die geringste Beachtung zu schenken, sagte Mari: »Sollen wir der kleinen Kackeschleuder mal die Windeln wechseln?«
    Sie sagte es auf die einzig mögliche Art, mit der ein erwachsener Mensch verbale Wärme in die Kacke bringen kann: mit Elternhaftigkeit. Fast wäre ich im selben Moment in meine eigenen belanglosen elterlichen Erinnerungen hinübergetänzelt, kam aber nicht dazu, weil Vater Jalkanen sagte: »Jawoll.« Und auch wenn diese Aussage im inhaltlichen Sinn natürlich nicht gerade gewichtig war, so lag doch eine gewisse mobilisierende Kraft in dem einfachen Jawollen.
    Zuerst wurde mir durch die Aufbruchabsicht etwas bange, ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum, vielleicht weil ich nicht im Geringsten begriff, warum sie überhaupt im Treppenhaus standen, oder es lag daran, dass sie so kurz angebunden waren, die Jalkanens, was ich ihnen aber schwerlich vorwerfen konnte, warum sollten sie nicht ein bisschen erstaunt darüber sein, dass ein fremder, dubiose Fragen stellender Tantenmensch plötzlich

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