Der Tag der roten Nase
hörte ich lautes Knirschen von Schritten im Schnee. Schwer zu sagen, welcher Instinkt mir erhalten geblieben war, aber es war nun einmal so, dass ich mir sofort einen Fluchtort in der Umgebung suchte, und meine Wahl fiel als Erstes auf eine Art Personaleingangstür um die Ecke, wohin ich sogleich huschte. Im selben Moment, in dem ich aus der Nische auf meine Fußspuren blickte, die im frischen Schnee und im hellen Sonnenschein schauerlich deutlich klafften, hörte ich die fürchterliche Stimme, die Stimme der grauenhaften Hätilä-Frau, sie flüsterte etwas, ich erkannte sie sogar am Flüstern, so tief hatte sich ihre Grauenhaftigkeit in mich eingefressen. Ich war mir in diesem Augenblick sicher, dass sie ihrerseits meine Anwesenheit witterte und nur darauf wartete, meine Spuren zu entdecken, um sich auf mich stürzen zu können.
Dazu kam es aber dann doch nicht, jedenfalls nicht in diesem Stadium, stattdessen kam es zu etwas ganz anderem, etwas viel Traurigerem und Eindrucksvollerem. Es kam nämlich der Sarg. Sechs Männer trugen ihn, und alle sahen so furchtbar traurig aus, dass man zunächst jeden von ihnen für den Vater hätte halten können, trotz der Tatsache, dass zwei von ihnen sich bei genauerem Hinsehen als Jungs entpuppten. Aber wenn man bei einem Begräbnis einmal einen Vater hat sagen hören, das Schlimmste, was einem Mann passieren kann, ist,seinen eigenen Sohn zu beerdigen, dann glaubt man das irgendwie, auch wenn man in dem Zusammenhang keine Unterschiede zwischen Vätern und Söhnen und Müttern und Töchtern machen möchte.
Jedenfalls kamen sie nun, und als hinter dem Sarg dann tröpfelnd Arja und offenbar ihre Verwandten und dann ein paar Reihen später Irja und ihr Mann samt Tochter und Sohn folgten, da wäre ich gern hingerannt, aber wie hätte ich das tun sollen, Gott bewahre, unmöglich, so viel Verstand hatte ich gerade noch, dass ich begriff, was das für Verwicklungen gegeben hätte, wenn ich plötzlich aus meinem Versteck heraus mitten hineingestürzt wäre und für Wirrwarr gesorgt hätte. Dennoch war mir zum Greinen, nicht zum Weinen, sondern irgendwie zum Greinen, allerhand Gefühle gingen durcheinander, die ganze Situation machte mich traurig und löste Scham in mir aus, also dass ich an der Hintertür der Kapelle gelandet war, um mich dort zu verstecken, aber ich konnte nun trotzdem nichts tun, als dort stehen zu bleiben und um die Ecke zu spähen, ich konnte mich nicht zu den anderen gesellen, ich kannte die Leute ja nicht einmal, abgesehen von einigen Ausnahmen, ich musste warten, bis sie vorbeigegangen war, die ganze riesige Schar, mit Sicherheit die halbe Stadt, und das war in all dem Schwarz dann doch irgendwie prachtvoll und schön.
Schließlich kamen auch die Hätiläs, der Alte hing bei einem Schnauzbart mittleren Alters am Arm, die Tochter marschierte hinter den beiden und brachte es auch da noch fertig, ihren Vater flüsternd mit Beschleunigungsbefehlen zu traktieren. Nach wie vor wunderte ich mich vor allem über meine Überempfindlichkeit, über die Tatsache, dass es mir gelang, es auf so große Distanz zu hören und zu verstehen, das bloßeFlüstern, aber ich hätte natürlich auch schlecht zu der unheimlichen Kreatur hingehen und sie fragen können, ob sie gerade weit von mir entfernt etwas gesagt hatte. Außerdem wollte mir einfach nicht in den Kopf, wie es möglich war, dass sich hier alle zu kennen schienen, in so einer großen Stadt.
Dann waren sie auch schon vorbei, alle, die ganze lange Prozession, ein elendes und zugleich würdiges schwarzes Band. Und da blieb mir schließlich doch nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.
Nach zwei Längswegen bogen die Spuren des Trauergeleits nach rechts ab. Ich ging geradeaus weiter und schaute zu den Menschen hinüber, die sich um das Grab scharten. Dabei musste ich natürlich so tun, als verrichtete ich etwas, und so versuchte ich mit Inbrunst, mich wie jemand mit Friedhofshobby zu bewegen, sah mich mit großen, das Genick beanspruchenden Gebärden um, ein bisschen so, als wäre jede Einzelheit von vorneherein interessant; es gab sie natürlich auch, die Einzelheiten, und es war schön dort inmitten des schräg fallenden Sonnenlichts und des außergewöhnlichen Schnees aus dem Nirgendwo, die Stille war genau jene, die es nur auf Friedhöfen gibt, jene Art von Stille, in der sich selbst Geräusche wie Vogelgezwitscher, Rascheln und von den Bäumen plumpsende Schneeklumpen zu einer extraleisen Stille verweben. Fast
Weitere Kostenlose Bücher