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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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konnte man vor den bereiften Grabsteinen die Kerzen züngeln hören und die gefrorenen Blütenblätter der Blumen, die sich leise lösten und in den Schnee fielen.
    So schön es auch war, man konnte allerdings nicht endlos darin versinken. Ich sah zum Trauergefolge hinüber. Ein Teil der Menge vollzog noch die auf der Stelle tretende Übersprungschoreografie, in die man leicht gerät, wenn man nichtso recht weiß, wo man Stellung beziehen soll, und dabei versucht, keine Aufmerksamkeit zu erregen und niemanden zu verletzen. Da waren hagere Greise und Menschen mittleren Alters in allen Varianten und schrecklich viele junge Leute, und dann eine Menge Volk, bei dem sich unmöglich eine Altersbestimmung vornehmen ließ. Die Jünglinge unterschieden sich von den Männern durch die viel zu großen Anzüge, in denen sie nicht richtig zu stehen wussten. Alle verband die Trauer. Das sah man den Menschen an, unabhängig von Haltung und Erscheinung.
    Sie blickten nicht einmal aus Versehen kurz in meine Richtung, das ermutigte mich, und ich bewegte mich quasi unwillkürlich ein Stück voran. Ich ging weiter und registrierte aus dem Augenwinkel, dass das Totenverzeichnis der Grabsteine vorbeilief wie ein Werbetext auf dem Fernsehbildschirm, der schwache Wind wedelte leichten Schnee von den Zweigen, zwischen den Bäumen stach das Sonnenlicht hindurch wie ein loses Bündel Holzstangen. Hinter dem mit Flechten überzogenen Stein eines in den Kriegsjahren verschiedenen Mannes namens Sulo Jalonen flatterte plötzlich eine große Krähe auf, wie eine ertappte Seele, keine Ahnung, wo dieser Gedanke herkam, vielleicht lag es am Hinweis auf den Krieg, auf jeden Fall erschreckte sie mich gründlich, diese Abrupterscheinung des Unglücksraben.
    Dann war nichts mehr zu machen. Der Abstand zu den Menschen, die sich bienenartig um das Grab versammelt hatten, betrug kaum noch zwanzig Meter. Ohne die vorherigen Gedanken fortzuführen und eigentlich auch ohne sonst etwas zu denken machte ich die entscheidenden wenigen Schritte, nach denen es unmöglich war, den Rückzug anzutreten, fallsmich jemand bemerkte. Und als unter meinem Schühchen dann plötzlich ein Stück Plastik vom Becher eines Grablichts knackte, von Jugendlichen oder von einem Tier kaputt gemacht, jedenfalls, als ich das Geräusch hörte, erstarrte ich kurz und guckte, ob sich irgendwelche Köpfe drehten, es drehten sich keine, es ging da vorne gerade die Blumenniederlegung vor sich, also, wo war ich stehen geblieben, bei der Stelle, an der ich erstarrte, stockte und gelierte, und erst da fiel mir der Wacholder auf, er war bestimmt vier Meter hoch und dicht wie nur was, und ich hatte ihn bis dahin wohl nur deshalb nicht bemerkt, weil direkt daneben eine Kiefer stand. Beide Bäume waren bloß ein paar Katzensprünge von mir entfernt.
    Ich machte diese Sprünge. Der Kiefernstamm war als Deckung viel zu schmal, aber hinter dem bauschigen Wacholder konnte man relativ unauffällig stehen. Man sah nicht viel mehr als den von schwarzen Rücken beschatteten Weg und dahinter das Stück Friedhof, das zum Waldrand hin anstieg. Es war schwer zu erkennen, was da vorne gerade vor sich ging, weil die Trauergäste in ihrer Mitte keinen Gang für Friedhofsspanner offen gelassen hatten. Aber dann entdeckte ich Irja in einer Lücke, die plötzlich in der Menge aufgerissen war.
    Sie stand ziemlich dicht am Innenbogen des dicken, hubbeligen Menschenhalbkreises, mit ihrer Tochter und ihrem Sohn im Arm, und wirkte fast bis zur Durchsichtigkeit geschwächt, gleichzeitig aber auch riesig stark. Den Jungen sah ich nun zum ersten Mal, und er machte einen furchtbar traurigen Eindruck. Ihr Mann stand mit einem Kranz in den Händen etwas abseits von der Familie und sah ebenfalls versteinert aus, aber am ehesten so, wie es bei Männern der Fall ist, wenn sie einen Anzug tragen und heulen möchten. Ich wäream liebsten hingerannt und hätte sie alle an mich gedrückt und ihnen etwas gesagt wie: Alles wird gut, alles wird gut, die Welt existiert noch und ist voller Liebe und Fürsorge, aber als in den Tiefen der schwarzen Ansammlung plötzlich ein Mensch herzzerreißend kraftlos zu weinen anfing, bekam auch ich schlagartig einen Kloß in den Hals und ein Krampf griff meine Tränenkanäle dermaßen an, dass ich mich eine Zeitlang ausschließlich darauf konzentrieren musste, kein Geräusch von mir zu geben.
    Dann waren auf einmal sie an der Reihe, die Jokipaltios, und sie verschwanden in einer kurzen, schnellen

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