Der Tag der Traeume
schaltete das Handy aus und wandte sich an Kendall. »Wie konntest du nur!«
Alles, nur das nicht. Nicht jetzt. »Ich habe das Haus nicht zum Verkauf angeboten, Hannah.«
»Noch nicht. Aber du hast es vor, das hat mir diese Tina Roberts ja gerade gesagt. Du willst es verkaufen. Und was dann? Muss ich dann wieder in ein Internat? Wie konntest du nur?«, jammerte sie, schniefte und fuhr sich mit der Hand über die Augen, wobei sie ihr Make-up verschmierte.
Der Kummer ihrer Schwester schnitt Kendall ins Herz.
Jeannie blickte von Kendall zu Hannah und machte große Augen. Nun, daran ließ sich nichts ändern. Hannah würde sich mit Sicherheit nicht zurückhalten, bis sie allein waren.
Kendall trat einen Schritt vor und legte ihrer Schwester eine Hand auf den Arm. »Ich schicke dich nicht wieder in ein Internat.«
»Nicht?« Hannah blickte hoffnungsvoll zu ihr auf.
Kendall schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht.« Es gab nicht viel, was sie in ihrem Leben sicher wusste, aber eines stand fest: Nach ein paar Wochen mit ihrer Schwester konnte und wollte sie Hannah nicht wieder wegschicken. »Ich werde mich mit Mom und Dad in Verbindung setzen und sie bitten, wich zu deinem Vormund zu bestimmen, damit ich die nötigen Entscheidungen für dich treffen kann, wenn du bei mir bleibst.«
»Ich wusste es!« Hannah quiekte vor Freude.
Dann warf sie die Arme um Kendalls Hals und drückte sie an sich. »Ich wusste, dass du mich nicht wegschicken würdest.«
Wie schnell Teenager doch ihre Meinung änderten. Vielleicht war das das Vorrecht der Jugend. Hannah trat einen Schritt zurück und sah Kendall an. Die Liebe, die sie in ihren Augen las, verschlug Kendall den Atem; die Freude, endlich von einem Menschen gebraucht zu werden, drohte sie zu überwältigen. Nun musste sie nur noch die sie ständig beherrschende Angst loswerden, auch Hannah eines Tages zu verlieren. Sie war für ihre Schwester verantwortlich, da konnte sie sich diese Schwäche nicht leisten.
Kendall hatte sowohl Rick als auch den Menschen von Yorkshire Falls zu vertrauen begonnen und war bitter enttäuscht worden. Nun setzte Hannah Vertrauen in sie, und Kendall war fest entschlossen, ihr keinen Grund zu geben, das zu bedauern. »Ich schicke dich nicht fort, Hannah. Ich nehme dich mit, egal, wo ich hingehe. Wir zwei sind doch ein Team.« Sie lächelte ihrer Schwester zu. Zum Glück konnten sie sich wenigstens aufeinander verlassen.
»Was soll das heißen, egal, wo du hingehst?« Hannah verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich dachte, wir bleiben hier. Ich habe hier Freunde gefunden, mir gefällt es hier. Und dir auch. Außerdem liebt Rick dich.«
Ich liebe dich, Kendall. Das hatte er letzte Nacht gesagt, kurz bevor das verdammte Foto auf der Leinwand erschienen war. Und sie war vor Scham so benommen gewesen, so sehr damit beschäftigt, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie immer und überall eine Ausgestoßene bleiben würde, dass sie seinen Worten überhaupt keine Beachtung geschenkt hatte. Er liebte sie, aber wie er sich zu ihr stellen würde, wenn ihm die ersten Bemerkungen über das bewusste Bild zu Ohren kamen, stand in den Sternen.
Sie drehte sich zu ihrer Schwester um. Der Ausdruck von Liebe und Dankbarkeit war aus deren grünen Augen verschwunden, jetzt loderten nur noch Wut und Angst darin. »Wie kommst du darauf, dass Rick mich liebt?« Gestern Abend war Hannah ja nicht mit dabei gewesen.
»Dazu muss man ihn doch nur ansehen. Genau wie ich dich nur ansehen muss, um zu sehen, dass du nur an dich denkst. Immer nur an dich!« Sie stapfte auf Jeannie zu, die die Szene noch immer mit offenem Mund verfolgte. »Komm, wir gehen.«
»Wohin?«, fragte Jeannie verblüfft.
»In die Stadt. Oder zu dir. Ganz egal, Hauptsache, ich komme hier raus«, fauchte Hannah.
Kendall seufzte. »Hannah, bleib bitte hier. Wir sind noch nicht fertig.«
»O doch. Ehe ich bei dir bleibe, gehe ich lieber gleich in ein Internat. Da tun die Leute wenigstens nicht so, als würde ihnen was an mir liegen, obwohl das gar nicht stimmt. Ich muss hier weg!« Sie packte Jeannie bei der Hand und zog sie aus der Küche. Ein paar Sekunden später wurde die Tür mit einem Knall ins Schloss geworfen.
Das Geräusch hatte etwas so Endgültiges, dass Kendall die Tränen in die Augen traten. Wie es aussah, war ihre kleine Schwester soeben aus ihrem Leben verschwunden.
Dreizehntes Kapitel
Ricks Mund fühlte sich strohtrocken an, in seinem Kopf hämmerte ein ganzes Bergwerk, und
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