Der Tag der Traeume
trotzdem ging es ihm um einiges besser als gestern Abend, als er hilflos hatte zusehen müssen, wie sich Kendall von ihm abwandte.
»Raus aus den Federn.« Von irgendwo her drang Charlottes widerlich muntere Stimme an sein Ohr.
Nachdem Roman ihn mit Alkohol abgefüllt hatte, ohne ihn jedoch zum Reden bringen zu können, hatte er seinen Bruder mit zu sich nach Hause geschleift, damit er dort seinen Rausch ausschlafen konnte. Rick war noch immer wütend auf ihn, aber als Trinkkumpan hatte Roman seinen Zweck erfüllt.
»Aufstehen, Schlafmütze.« Charlotte kam ins Zimmer und stieß die Fensterläden auf.
Das grelle Sonnenlicht war eine Qual für seine empfindlichen Augen. Rick stöhnte leise. »Mann, Charlotte, musst du mich schon am frühen Morgen foltern?« Er rollte sich auf den Bauch und presste beide Hände gegen den Kopf.
Charlotte trat neben die Couch. Von seiner Position aus konnte er nur ihre nackten Zehen sehen. Trotzdem dröhnten ihre Schritte in seinen Ohren, als ob sie sich Blechdosen unter die Füße geschnallt hätte.
»Was heißt hier foltern? Sieh mal, was ich dir mitgebracht habe.« Sie bückte sich und stellte ein Glas auf den Tisch neben ihm.
»Was ist das?« Er musterte das dunkle Gebräu aus halb geschlossenen Augen misstrauisch.
»Trink nur. Wird dir gut tun. Erst wollte ich dich ja mit dem bevorzugten Katermittel meines Vaters traktieren. Es besteht unter anderem aus rohen Eiern und Milch.«
Ricks Magen hob sich, und er unterdrückte einen Würgelaut.
»Aber ich habe Gnade vor Recht ergehen lassen und dir stattdessen eine Cola gebracht. Und Aspirin.« Sie streckte ihm die Hand hin, in der zwei weiße Tabletten lagen. Dankbar griff er danach. »Hast du eigentlich das Wasser getrunken, das ich dir gestern Nacht hingestellt habe?«, fragte sie dann.
»Weiß ich nicht mehr.« Rick schwang die Beine von der Couch und schaffte es irgendwie, sich aufzurichten, ohne dass sein Kopf zersprang. Er schob sich die Pillen in den Mund und spülte sie mit Cola hinunter, was seinen grollenden Magen etwas versöhnlicher stimmte.
Dann sah er Charlotte zum ersten Mal bewusst an. Jeder Mann, der morgens die Augen aufschlug und sie sah, musste denken, er wäre gestorben und in den Himmel gekommen. Dazu kam, dass sie ihm etwas gegen seinen Kater gebracht hatte, ohne ihm zugleich eine Strafpredigt zu halten. Im Moment gab es keine Frau, die er lieber um sich gehabt hätte.
Außer Kendall. Aber mit diesem Problem würde er sich befassen, wenn er sich etwas erholt hatte. »Habe ich dir schon mal gesagt, dass mein kleiner Bruder verdammtes Glück mit dir hat?«
»Sag’s mir lieber selber und hör auf, ihr schöne Augen zu machen.« Roman betrat das Zimmer, ohne sich die Mühe zu machen, auf Zehenspitzen zu schleichen oder sonst wie Rücksicht auf Ricks Zustand zu nehmen.
»Wie soll ich ihr denn schöne Augen machen, wenn ich sie kaum aufkriege?«, murrte Rick.
»Versuch’s mal, dann siehst du Charlotte vermutlich gleich doppelt, du Glückspilz.« Roman grinste, legte seiner Frau einen Arm um die Taille und zog sie an sich.
»Mach dich nur lustig – nach allem, was du getan hast.« Rick erinnerte sich wieder, wie ihm zu Mute gewesen war, als er erfahren hatte, dass die Herzschwäche seiner Mutter frei erfunden war. Erleichterung hatte sich mit Wut vermischt, am liebsten hätte er Raina gleichzeitig umarmt und ihr den Hals umgedreht, aber am tiefsten hatte es ihn getroffen, dass sein Bruder Bescheid gewusst und geschwiegen hatte. »Wie konntest du mich nur in dem Glauben lassen, Mom wäre ernsthaft krank?«
Roman zog sich einen Stuhl heran, während Charlotte sich mit auf die Couch quetschte. »Wir schulden dir wohl eine Erklärung«, begann Roman, dann zögerte er, als müsse er erst seine Gedanken sammeln.
Rick wartete. Dabei unterdrückte er den Drang, mit dem Fuß ungeduldig auf den Boden zu tappen, weil er fürchtete, sein pochender Kopf könne ihm das verübeln.
»Es ist alles ein bisschen kompliziert.« Roman schüttelte nachdenklich den Kopf. »Zuerst habe ich dir nichts gesagt, weil wir in Europa auf Hochzeitsreise waren.« Er griff nach Charlottes Hand.
Rick hatte den Traum, sich jemals einem anderen Menschen – vorzugsweise Kendall – so nah zu fühlen, schon fast begraben, daher schmerzte ihn die Verbundenheit, die sein Bruder und dessen Frau zur Schau stellten. Er massierte seine hämmernden Schläfen. »Du hättest mich anrufen können«, widersprach er in dem Versuch, sich auf seine
Weitere Kostenlose Bücher