Der Tag der Traeume
Augen, die denen seines Vaters so sehr glichen, bohrten sich in die ihren.
Raina stieß vernehmlich den Atem aus. »Was ist denn so schlimm daran, wenn man Menschen helfen will, die man liebt?«
Charlotte ging zu ihr hinüber und legte ihr eine Hand auf den Arm. »Hör zu, ich habe mit Kendall gesprochen, und soweit ich das beurteilen kann, hatte Rick schon seine liebe Not, sie dazu zu bringen, in der Stadt zu bleiben, bevor ihr jemand diesen üblen Streich gespielt hat. Er braucht deine Unterstützung, aber keine überflüssige Einmischung. Vertrau mir.«
»Ich wünschte, ihr würdet mir auch einmal vertrauen.«
Raina schnappte nach Luft, die beiden anderen fuhren herum, als sie Ricks Stimme hörten.
»Ich weiß nicht, was mich mehr ärgert – dass ihr hier alle über mein Leben diskutiert oder dass ihr Geheimnisse vor mir habt.« Er trat mit vor der Brust verschränkten Armen und finsterer Miene in die Küche.
Raina hatte ihn nicht ins Haus kommen hören, und die drei anderen auch nicht, wenn sie die erschrockenen Gesichter richtig deutete. Rick lehnte sich gegen den Türrahmen. Er wirkte erschöpft und verhärmt. Ein Chandler gab nie kampflos auf, aber es war offensichtlich, dass die Dinge zwischen ihm und Kendall nicht mehr zum Besten standen.
Und es sah so aus, als würde der nächste Krach auf dem Fuße folgen. »Wie lange stehst du denn schon da?«, fragte Raina verzagt, obwohl die leise Übelkeit, die in ihr aufstieg, die Antwort vorwegnahm.
»Oh, ich bin ungefähr zu der Zeit gekommen, wo du dein vorgetäuschtes Herzleiden erwähnt hast.« Obwohl sich sein Gesicht vor Zorn gerötet hatte, las sie in seinen Augen, wie tief ihn der Verrat traf.
»Rick …«
»Jetzt nicht, okay? Ich habe heute Abend schon genug durchgemacht. Aber ich bin froh, dass du gesund bist. Ganz aus dem Häuschen vor Freude, um genau zu sein.« Mit einem ungläubigen Kopfschütteln wandte er sich ab.
»Rick.« Roman hielt ihn am Arm fest.
Rick machte sich unwillig los. »Wenn du mich nicht davon überzeugen kannst, nichts von dieser Komödie gewusst zu haben, gibt es nichts weiter zu sagen.«
»Charlotte, ich gehe mit meinem Bruder irgendwo etwas trinken. Eric bringt dich sicher gern nach Hause.« Roman sah den älteren Mann an, der zustimmend nickte.
»Danke, ich trinke lieber alleine«, knurrte Rick.
»Geh nur. Ihr zwei müsst dringend miteinander reden.« In Charlottes grünen Augen spiegelte sich Mitgefühl für ihre immer noch neue Familie wider. »Rick, du weißt doch, dass wir alle nur dein Bestes wollen.«
»Dann habt ihr eine verdammt merkwürdige Art, das zu zeigen.«
»Du hast Recht, und es gibt auch keine Entschuldigung dafür, außer …« Raina brach ab.
»Ich mache das schon, Mom. Ruh du dich aus. Ein paar Stunden Schlaf wären nicht schlecht.« Roman legte ihr eine Hand auf die Schulter. Seine Sorge um sie rührte sie.
Obwohl er ihr Verhalten nicht billigte, machte er ihr jetzt keine Vorwürfe, und dafür war sie ihm dankbar. Sie liebte ihre Söhne – zu sehr, wie es aussah, wenn sie ihnen trotz bester Absichten nur Kummer bereitete.
»Wo ist Kendall jetzt?« Charlotte stellte die Frage, die allen im Kopf herumging.
»Zu Hause. Wahrscheinlich packt sie schon ihre Sachen«, murmelte Rick.
Raina zuckte zusammen. »Wenn ihr meint, es könnte ihr helfen, fahre ich zu ihr und rede mal mit ihr.« Noch während sie sprach und Romans unwilliges Stirnrunzeln sah, wusste sie schon, wie die Antwort ihres mittleren Sohnes ausfallen würde.
»Meinst du nicht, du hättest schon genug angerichtet?«, erwiderte Rick auch prompt.
Seine Worte trafen sie mitten ins Herz, eben jenes Organ, das sie benutzt hatte, um ihn zu manipulieren. Ausgleichende Gerechtigkeit, dachte Raina bitter, ohne Trost in diesem Gedanken zu finden.
Ricks Schmerz war ungleich größer. Kendall hatte sich von ihm zurückgezogen, seine Mutter ihn hintergangen. Ihr eigener Kummer verblasste angesichts der Qualen, die er im Moment durchleiden musste.
Ob Rick ihr nun vergab oder nicht, Raina musste einen Weg finden, ihn und Kendall wieder zusammenzubringen. Leider hatte sie noch nicht die geringste Ahnung, wie sie das anstellen sollte.
Irgendwie überstand Kendall die Nacht mit zwei Teenagern, einem Hund und dem Elend, in dem sie immer wieder zu versinken drohte. Die Mädchen halfen ihr, Happy zu baden, was Kendall von der erlittenen Demütigung ein wenig ablenkte. Wer hatte ihr das nur angetan, fragte sie sich zum hundertsten
Weitere Kostenlose Bücher