Der Tag der Traeume
Mal.
Obgleich Rick angedeutet hatte, bereits einen Tatverdächtigen im Visier zu haben, konnte Kendall sich nicht vorstellen, wer sie so abgrundtief hasste, dass er sie fast nackt auf einer riesigen Leinwand zur Schau stellte und dem allgemeinen Gelächter preisgab. Der einzige Mensch in der Stadt, der aus seiner Abneigung ihr gegenüber kein Hehl gemacht hatte, war Lisa Burton, doch Kendall hielt es für unwahrscheinlich, dass die Lehrerin ihren eigenen Ruf und ihren Job wegen so eines dummen Streiches aufs Spiel setzte.
Als die Mädchen, die ja nicht wussten, was sich bei der Diashow zugetragen hatte, endlich im Bett lagen, kam Kendall zu dem Schluss, das es völlig bedeutungslos war, wer hinter der ganzen Sache steckte. Der oder die Schuldige hatte ihr einen großen Gefallen getan; ihr plastisch vor Augen geführt, warum sich ihre Träume nie verwirklichen lassen würden. Kendall Sutton gehörte nirgendwo hin und schon gar nicht an die Seite eines Mannes wie Rick Chandler.
Als das erste Tageslicht ins Zimmer fiel, war die Diashow unzählige Male vor Kendalls geistigem Auge abgelaufen; hatte sich das Foto förmlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Sie schämte sich weder für ihre frühere Karriere als Model noch für das bewusste Bild, denn sie hätte sich niemals auf einen zwielichtigen Job eingelassen, selbst wenn sie das Geld noch so dringend gebraucht hätte. Nichtsdestotrotz blieb die Tatsache bestehen, dass die ganze Stadt und somit auch all die Menschen, die sie lieb gewonnen hatte, sie überlebensgroß in aufreizenden Lederdessous hatten bestaunen können.
Und die Chandlers mussten das jetzt ausbaden – Charlotte, die ihres Geschäftes wegen auf ihren Ruf achten musste; Raina, deren schwaches Herz keinerlei Stress vertrug und Rick, der Cop, dem bislang nichts Nachteiliges nachgesagt worden war. Das würde sich jetzt ändern, und sie allein war schuld daran.
Kopfschüttelnd trat sie ans Fenster und blickte über das taufeuchte Gras hinweg. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie eine Zukunftsperspektive gehabt, hatte wirklich geglaubt, in dieser Stadt heimisch zu werden und von Ricks Verwandten in den Familienkreis aufgenommen zu werden. Doch nun waren ihr diese Illusionen schlagartig geraubt worden – durch ein einziges Foto. Ihre Kindheitserfahrungen hatten sich bestätigt. Wieder hatte sie erleben müssen, dass sie eine Ausgestoßene war und immer bleiben würde.
Zum Glück hatte Hannah die Show nicht gesehen. Kendall musste ihr schonend beibringen, was geschehen war, ehe sie es von jemand anders erfuhr. Am liebsten hätte sie ihrer Schwester die ganze Sache verschwiegen, weil sie wusste, wie peinlich berührt Hannah sein würde, aber das ging nicht. Sie konnte nur versuchen, den Schlag etwas abzumildern.
Und dann würde sie mit Hannah nach Arizona gehen, weit weg von dieser Stadt, ehe ihnen beiden der Abschied noch schwerer fiel oder sie noch mehr Enttäuschungen hinnehmen mussten.
»Morgen, Kendall.« Die beiden Mädchen kamen fröhlich in die Küche gehüpft.
Kendall wäre am liebsten in ihr Bett zurückgekrochen, aber sie rang sich ein Lächeln ab. »Guten Morgen, ihr beiden. Soll ich euch Frühstück machen?«
»Nicht nötig. Wir essen Müsli«, erwiderte Hannah.
»Wie war die Show? Wir waren gestern Abend so mit Happy beschäftigt, dass ich glatt vergessen habe, danach zu fragen.« Jeannie strich dem Hund über den Kopf. »Meine Mom geht normalerweise hin, aber sie sagt, bald kann sie die ewigen Bilder alter Häuser nicht mehr sehen, deshalb hat sie uns diesmal lieber ins Kino mitgenommen.«
Kendall hatte nicht die Absicht, in Gegenwart von Hannahs Freundin mit der Wahrheit herauszurücken. »Sie war … ganz interessant. Und was steht bei euch heute auf dem Programm?«
In diesem Moment klingelte Kendalls Handy und hielt die Mädchen von einer Antwort ab. »Ich geh schon ran, ich hab ein paar Freunden die Nummer gegeben.« Hannah griff nach dem auf dem Tisch liegenden Telefon. »Hallo?«
Kendall wartete. Sie hoffte nur, dass der Anrufer nicht Rick war.
»Wer ist da?«
»Wer ist da, bitte?« ,formte Kendall lautlos die Lippen, dann unterdrückte sie ein Stöhnen. Hannah würde entweder Manieren lernen oder sie selbst bei dem Versuch, sie ihr einzubläuen, den Verstand verlieren.
»Nein. Nein. Nein! Dieses Haus steht nicht zum Verkauf und wird auch nicht verkauft! Und Sie können auch nicht mit der Besitzerin sprechen, weil ich erst mal ein Hühnchen mit ihr zu rupfen habe!« Sie
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