Der Tag der Traeume
drehte sich wieder zu ihr um. »Eines habe ich während unseres Gesprächs noch zu erwähnen vergessen – so lange Rick mit einer Frau zusammen ist, neigt er dazu, sie vollkommen zu vereinnahmen.« Er warf ihr einen viel sagenden Blick zu, schlug seinem Bruder auf die Schulter und ging dann kopfschüttelnd und in sich hineinkichernd zu den anderen hinüber.
»Was hat das alles zu bedeuten?« Rick funkelte sie grimmig an.
Kendall zuckte nur die Achseln. Sie war sich nicht sicher, wem Chase’ warnende Worte gegolten hatten – ihr, Rick oder ihnen beiden. »Dein Bruder hat mir nur einen freundschaftlichen Rat erteilt.«
»Ein bisschen zu freundschaftlich, wenn du mich fragst.« Ricks Kiefermuskeln spannten sich an, und Kendall verspürte den unwiderstehlichen Drang, über die stoppelige Haut zu streichen, bis er sich unter der Berührung ihrer Hand wieder entspannte.
Ihr Magen zog sich vor plötzlicher Erregung zusammen. Konnte Chase Recht haben? War Rick wirklich eifersüchtig? Bei der Vorstellung machte sie rasch eine geistige Bestandsaufnahme ihrer eigenen Gefühle. Jeder übereilte Schritt konnte ihr Untergang sein, daher zwang sie sich, klar und logisch nachzudenken. Eifersucht bedeutete aufrichtiges Interesse an ihrer Person, und wie stark dieses Interesse war, hatte ihr schon der Kuss vorhin in ihrem Haus gezeigt. Neu war für Kendall nur die Erkenntnis, dass Ricks Gefühle ihr gegenüber keine Gefahr für ihren Seelenfrieden darstellten. Wie auch, wenn sogar Chase, der Rick besser kannte als jeder andere, offen zugab, dass sein Bruder vor einer festen Beziehung zurückscheute? Genau wie sie, Kendall, stets die Flucht ergriff, ehe sie sich zu sehr an einen anderen Menschen band.
Angesichts dieser unbestreitbaren Tatsachen schien ihr Weg plötzlich klar und deutlich vor ihr zu liegen. Warum kämpfte sie gegen die Anziehungskraft an, die dieser Mann auf sie ausübte? Eine Affäre mit Rick versprach die leidenschaftlichste und sinnlichste Erfahrung ihres Lebens zu werden. Warum sollten sie nicht beide die Gelegenheit beim Schopf packen und das Abenteuer genießen, so lange es dauerte?
Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Gegen Freundschaft ist nichts einzuwenden, Rick.« Keinesfalls sollte er den Eindruck gewinnen, in einen Wettstreit mit seinem ältesten Bruder treten zu müssen. Jetzt stand sie so dicht bei ihm, dass sie den Duft seiner Haut wahrnehmen konnte, und in diesem Moment wurde ihr klar, was sie wirklich wollte. Sie wollte aus ihrem Spiel Ernst machen. Sie wollte Rick als Liebhaber, solange sie in der Stadt blieb, und das nicht nur deshalb, weil er gerade zur Verfügung stand.
Noch nie hatte sie sich vom ersten Moment an so stark zu einem Mann hingezogen gefühlt, und noch nie hatte ein Mann ein so heftiges Verlangen in ihr entfacht. Ihre früheren Beziehungen hatten ihrem unsteten Leben Rechnung getragen, waren unverbindlich und nur von kurzer Dauer gewesen. Einzig Brian war ihr näher gekommen als die meisten anderen, wenn auch anfangs nur, weil sie einander aus rein eigennützigen Gründen gebraucht hatten. Im Laufe der Zeit hatte sich eine Art kameradschaftliche Zuneigung zwischen ihnen entwickelt, doch Kendall hatte immer das Gefühl gehabt, irgendetwas zu vermissen. Bei Rick vermisste sie nichts. Zwischen ihnen herrschte nicht nur eine starke erotische Spannung, sondern auch eine seltene emotionale Übereinstimmung.
Er war schon einmal tief verletzt worden. Sie wusste nicht, von wem und wie lange das her war, aber sie konnte ihm helfen, endgültig darüber hinwegzukommen, so wie er ihr geholfen hatte. Vom Tag ihres Kennenlernens an war er für sie ein Fels in der Brandung gewesen, und darüber hinaus hatte er in ihr physische Bedürfnisse geweckt, die allzu lange geschlummert hatten. Und er machte sich offenbar wirklich Gedanken um sie und ihren Gemütszustand, sonst hätte er diese improvisierte Party nicht organisiert – eine Geste, die Kendalls Meinung nach von Herzen kam und nicht von der Absicht herrührte, ihren Status als Liebespaar nach außen zu festigen. Da gab es genug andere Möglichkeiten – sein Auftritt im Friseursalon zählte dazu. Aber echte Gefühle hatte er noch nie erkennen lassen.
Bis jetzt. Und nun, da sie wusste, woran sie war, brauchte sie auch keine Bedenken mehr zu haben, mit seiner Hilfe über eine schwierige Phase ihres Lebens hinwegzukommen. Er wollte ja ganz offensichtlich dasselbe wie sie – eine kurze, leidenschaftliche Beziehung, deren Ende abzusehen
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