Der Tag der Traeume
Zeitungsmann würde nie etwas anderes als die kalte, nackte Wahrheit sagen, ob sie sie nun gern hörte oder nicht.
»Ich möchte nur vermeiden, dass du dir falsche Hoffnungen machst. Rick wird sein Herz an keine Frau mehr verlieren, schon gar nicht an eine, die bloß auf der Durchreise ist.«
Kendall hatte Chase auf Anhieb gemocht, aber jetzt empfand sie auch Respekt für ihn. Trotzdem trafen seine Worte sie bis ins Mark, obwohl sie sich eine Närrin schalt. Sie selbst war schließlich die Letzte, die sich fest an einen Mann binden oder gar in einer Kleinstadt sesshaft werden würde.
»Meinst du wirklich?«, hakte sie nach, ohne sich die widersprüchlichen Gefühle anmerken zu lassen, die in ihr miteinander rangen.
Chase legte den Kopf schief. »Allerdings. Ich pflege mich stets an die Tatsachen zu halten.«
»Ein echter Journalist«, gab sie trocken zurück.
»Ich kann meinen Beruf eben nicht verleugnen.« Ein leises Lächeln spielte um seine Lippen.
»Eines würde mich doch noch interessieren. In dieser Stadt gibt es mindestens ein Dutzend Frauen, die deinem Bruder fast die Tür einrennen. Hast du denen allen dasselbe erzählt wie mir?«
»Nein. Aber meine Mutter war mit deiner Tante befreundet, demzufolge gehörst du quasi zum Kreis der Familie.«
Da war das Wort schon wieder. Familie. Den Chandlers kam es ganz selbstverständlich über die Lippen, aber Kendall tat sich schwer damit, gerade weil es um etwas ging, was sie nie gehabt hatte. Ihre Kehle schien plötzlich wie zugeschnürt, trotzdem gelang es ihr, Chase’ Blick standzuhalten und sich zu einem dankbaren Nicken zu zwingen.
Chase legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an. »Ich versuche nur, dir zu helfen. Betrachten wir diese Unterhaltung einfach als mein Begrüßungsgeschenk für dich, okay? Vielleicht wirst du mir eines Tages sogar dankbar dafür sein.«
Das hielt Kendall für durchaus möglich. Doch jetzt galt es erst einmal, Chase die Idee auszureden, sie sei diejenige, die Gefahr lief, verletzt zu werden. »Ich dachte immer, Journalisten würden sich nie auf bloße Vermutungen stützen«, bemerkte sie obenhin.
»Das tun sie normalerweise auch nicht. Wie kommst du darauf?«
»Weil du automatisch voraussetzt, dass ich mich bis über beide Ohren in deinen Bruder verliebe.« Sie beugte sich zu Chase und flüsterte ihm zu: »Aber den Zahn muss ich dir ziehen, ich bleibe nämlich nicht lange genug hier, um mich auf etwas Ernstes einzulassen. Meistens läuft es genau andersrum, da lasse ich in jeder Stadt einen sitzen gelassenen Lover zurück.« Sie hoffte, ihre Worte würden sich als prophetisch erweisen. Keine tieferen Gefühle, kein Trennungsschmerz, zumindest nicht für sie. »Also solltest du vielleicht lieber deinen Bruder vor mir warnen.« Sie zwang sich zu einem Grinsen.
Chase lachte schallend auf und Kendall sah sich plötzlich einem Mann gegenüber, der dazu geboren schien, Frauenherzen reihenweise zu brechen. Nur ihres nicht, dachte Kendall. Das gehörte schon Rick.
»So langsam fange ich an zu verstehen, warum Rick so hin und weg von dir ist. Wenn du mich irgendwann mal brauchen solltest, wenn du in der Stadt bist, ruf mich einfach an, ja?«
»Danke.« Aus einem Impuls heraus legte sie ihm eine Hand auf den Arm.
»Äh-hmm.« Ricks Räuspern unterbrach sie; der Moment war dahin.
Bei seinem Anblick machte Kendalls Herz einen kleinen Satz. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass er ihr gefehlt hatte, aber nun war sie froh, dass er sich von Polizeiangelegenheiten, dem Telefon und den Leuten, die seine Aufmerksamkeit beanspruchten, losgeeist hatte und wieder neben ihr stand.
Aber dann fiel ihr Chase’ Warnung wieder ein, und sie mahnte sich, auf der Hut zu sein. Trotzdem beschleunigte sich ihr Pulsschlag, und ihr Mund wurde trocken. Die Gefühle, die er in ihr auslöste, waren stärker als jede Vernunft.
»Was geht denn hier vor?« Ricks Augen verfinsterten sich.
Kendall hatte vor lauter Freude darüber, ihn zu sehen, völlig vergessen, dass ihre Hand noch immer auf Chase’ Arm lag. Sie riss sie weg, als habe sie sich verbrannt, und Chase brach zum zweiten Mal an diesem Abend in Gelächter aus.
»Eifersüchtig, Rick?«, spottete er.
»Wenn du mich nicht dazu erzogen hättest, mich in Gegenwart einer Lady wie ein Gentleman zu benehmen, würde ich dir jetzt sagen, was du mich kannst.«
Kendall unterdrückte ein Kichern, obgleich sie die Möglichkeit, die Chase da angedeutet hatte, wider besseres Wissen entzückte.
Chase
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