Der Tag der zuckersueßen Rache
zu folgen, um zu sehen, wohin sie geht. Aber dann fragt sie: »Was macht ihr heute noch?« »Wir wollen nach Castle Hill«, improvisiert Em hastig und Cass sagt, sie begleitet uns noch zur Bushaltestelle. Em will, dass wir an der nächsten Haltestelle aussteigen und zurückgehen, aber Cass ist schon im Regen verschwunden, deshalb beschließen wir, erst mal einen Kaffee trinken zu gehen und dabei zu überlegen, was wir tun. Es ist nass und laut in Castle Hill; viele Leute wollen ins Kino oder machen einen Donnerstagabend-Einkaufsbummel, schütteln ihre Regenschirme und waten durch Pfützen. Im Blue Danish Café drängeln wir uns zu einer Eckcouch durch. Am Tisch neben uns sitzt ein Mädchen aus unserer Schule. Sie heißt Liz Clarry und unterhält sich mit einer Brookfield-Schülerin. Wir holen uns zwei Becher Kaffee und Em fängt an, das Ganze noch mal durchzukauen, als ließe es sich so einfach lösen wie eines dieser Logikrätsel. (Bill kommt von der Arbeit nach Hause. Er entdeckt Glenda tot auf dem Boden. Er sieht eine Wasserpfütze und ein paar Scherben. Wie starb Glenda?) »Cass hat an einen Matthew Dunlop von der Brookfield geschrieben«, erklärt Em. »Wir finden heraus, dass es keinen Matthew Dunlop an der Brookfield gibt. Cass sagt, sie wird Matthew Dunlop treffen. Was ist los mit Cass?« Glenda ist ein Goldfisch!
»Sie ist ein Goldfisch«, schlage ich vor. Em runzelt die Stirn, während sie darüber nachdenkt. »Vielleicht existiert Matthew Dunlop ja wirklich, aber er geht nicht auf die Brookfield«, sagt sie, »sondern hat irgendwie ihren ersten Brief in die Hände bekommen, beim Transport vielleicht, und seitdem schreibt er ihr.« »Aber dann müsste er einen Weg gefunden haben, regelmäßig an den Schulbriefkasten zu kommen«, wende ich ein, »um Cassies Briefe rauszuholen und seine Antworten einzuwerfen.« Wir fangen an, uns ganz verrückte Sachen auszudenken, zum Beispiel, dass Cass die ganze Zeit schon wahnsinnig war, und wir stellen uns vor, dass alle Geschichten, die sie uns je erzählt hat, gelogen waren. Dann wird Em wieder ernst und sagt: »Ich glaube nicht, dass sie uns jemals angelogen hat. Und ich glaube, dass es unsere Schuld ist. Anstatt für sie da zu sein, haben wir ständig nur von unseren Brookfield-Jungs erzählt. Da blieb ihr ja nichts anderes übrig, als sich einen eigenen Brieffreund zu erfinden.« Ich sehe mich im Café um und entdecke Liz Clarry am Nebentisch. Mir fällt auf, dass sie mit einem Mädchen in Brookfield-Schuluniform zusammensitzt, und ich beschließe, es ein letztes Mal zu versuchen. »Gibt es an eurer Schule eigentlich jemand, der Matthew Dunlop heißt?«, frage ich die Brookfield-Schülerin. »Nicht dass ich wüsste.« Da sagt Liz etwas Merkwürdiges: »Wie geht’s Cassie?«, fragt sie. Als ob sie was wüsste. »Wie meinst du das?« Em stürzt sich sofort darauf. Liz zuckt mit den Achseln und sagt: »Ich habe sie am letzten Tag vor den Winterferien gesehen und sie kam mir irgendwie komisch vor.« »Wie meinst du das?« Em mustert sie mit schmalen Augen. »Ich weiß es nicht.« Liz beginnt, an ihren Ohrläppchen zu ziehen, als könne sie damit ihre Erinnerung antreiben. »Ich war an dem Nachmittag im Wäldchen joggen und sah sie unter einem Baum sitzen. Es war kalt und dunkel und ich fand es einfach merkwürdig, wie sie da saß. Aber vielleicht hab ich mir auch nur eingebildet, dass etwas nicht stimmt, weil alles im Wäldchen irgendwie unheimlich wirkt, wenn es
dunkel ist, versteht ihr?«
»Ja, klar«, sagt Em und wird auf einmal ganz gesprächig. »Ich hasse
das Wäldchen bei Dunkelheit. Es ist wie auf einem Friedhof, so unheimlich und grauselig.«
»Ja, unheimlich gruselig«, stimmt Liz ihr gelassen zu. Cass und ich
trauen uns nie, Ems Wortfehler zu korrigieren.
Dann stellt Liz uns die Brookfield-Schülerin vor und es kommt heraus,
dass sie auf ein paar Jungs von der Brookfield warten. Die Brookfield-
Schülerin, die übrigens Christina heißt, sagt: »Wenn ihr wollt, können
wir Paul und Jared fragen, wenn sie kommen, ob sie vielleicht Matthew
Dunlop kennen.«
Und ich sage: »Nein, schon gut«, weil ich denke, dass mittlerweile kein
Zweifel mehr daran besteht, dass er nicht existiert, und ich keine
Lust habe, das ständig aufs Neue bestätigt zu bekommen.
Dann beratschlagen Em und ich weiter darüber, was wir tun sollen.
Wir sind uns einig, dass es nicht Cassies Schuld ist und dass wir sanft
vorgehen müssen, wenn wir sie dazu bringen wollen, alles
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