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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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Mütter das, um ihre Söhne zu beschützen. Aber da deine Mutter nicht mehr für dich da ist, werde ich mich darum kümmern. Schließlich bist du wie ein Sohn für mich. Eines Tages könntest du sogar mein Nachfolger werden.«
    Â»Ihr Nachfolger!«
    Â»Nimm nicht alles für bare Münze, was ich sage. Denke nicht zu viel nach.«
    Â»Ich werde es versuchen. Sagen Sie mir jetzt, was ich tun soll. Ich werde alles tun, was Sie mir sagen. Ich werde es tun. Ich werde es tun. Mir gefällt, was Sie sind. Sagen Sie es mir. Ich bin Ihnen ganz ergeben.«
    Der Suk von Lakhmiss war an jenem Tag fast leer. Die Information war nicht ausreichend verbreitet worden.
    Mein Vater, der große Menschenmengen mochte, war sofort bitter enttäuscht. Er wollte wieder nach Hause. Mir gelang es, ihn zum Bleiben zu überreden, indem ich ihn daran erinnerte, dass wir zu Hause nichts mehr zu essen hatten. So schlug ich ihm vor, für den Abend einen Kuskus zuzubereiten. Einen Kuskus nur für ihn und mich. Einen Kuskus, um zu zweit einen Neuanfang in unserem Leben zu feiern. Und seine Hoffnung zu festigen, dass meine Mutter zurückkehren würde. Und mich an die neue Situation in unserer Familie zu gewöhnen: Vater und Sohn. Selbst in tiefster Niedergeschlagenheit die Freude zu wagen. Meinen Vater an der Hand zu nehmen, ihm neu beizubringen, wie man lebt, isst, atmet. Ihn zu umsorgen. Mit der Hilfe Bouhaydouras einen Zauber zu bewirken, der ihm ein wenig Ruhe einbringen würde. Und Schlaf. Und Vergessen. Eine andere Frau.
    Wir drehten langsam eine Runde durch den Suk mit seinen spärlichen Ständen. Wir kauften alle notwendigen Zutaten für einen Kuskus. Gemüse, Gewürze, einen lebenden kleinen Hahn, hausgemachte ranzige Butter, sowie ein wenig Thymian und den Balbula , eine besondere Grießsorte vom Land, die mein Vater besonders mochte und die ich zutiefst verabscheute. Doch da er kochen wollte, sagte ich nichts. Von uns beiden war er der Unglücklichere, der Kränkere. Derjenige, der sich weiter von der Welt entfernt hatte. Mit Hilfe des Essens würde er wieder
ein wenig zu mir zurückfinden. Das von ihm zubereitete Essen würde auch mir helfen, zu etwas Neuem zu finden. Mir, einem Jugendlichen ohne Mutter.
    Gerade, als wir diesen großen Suk mit seiner bedrückenden Stimmung verlassen wollten, hielt uns ein Händler an, der Wassermelonen verkaufte.
    Er schrie: »Omar, Omar, komm, komm mal her zu mir.« Ich versuchte, ihn zu ignorieren. Er schrie wieder, lauter: »Omar, Omar, erkennst du mich nicht? Wie geht es dir? Wie geht es deiner Mutter? Erkennst du mich wirklich nicht? Gleich werde ich sauer. Das sage ich deiner Mutter. Du weißt doch, ich kenne sie gut.«
    Da ich weiterging, ohne ihm Beachtung zu schenken, entfernte er sich von seinem Stand und holte meinen Vater und mich ein.
    Er stand vor mir. Er versperrte mir den Weg. Er lächelte. Er freute sich ganz offensichtlich, mich wiederzusehen. Er nahm meine Hand und legte sie sich aufs Herz. Er sagte ernsthaft zu mir: »Das war's, du hast mich nicht mehr lieb. Stimmt's? Du willst meine Wassermelonen nicht mehr. Stimmt's? Stimmt's? Sag mal – und deine Mutter?«
    Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte. Die Wahrheit? Welche Wahrheit?
    Lange habe ich geglaubt, dass dieser noch junge, liebenswürdige, herzliche Mann und hartnäckige Junggeselle es nur auf meine Mutter abgesehen hatte. Im Sommer, immer, wenn er mich vor seiner Verkaufsbude in unserem Viertel vorbeigehen sah, rief er mich herbei, stellte mir Fragen über sie, richtete mir Grüße an sie aus und schenkte mir zum Schluss immer Obst für sie, für uns. Er sagte: »Obst für zu Hause. Deine Mutter kann später bezahlen. Warten wir die Wassermelonen ab. Die Wassermelonenzeit.«
    War es Arglosigkeit meinerseits? Naivität? Oder Feigheit?
    Ganz einfach Naschhaftigkeit.
    Ich war begeistert, sehr teure Früchte sämtlicher Sorten nach Hause zu bringen und so viel davon zu verdrücken, wie ich konnte. Auch mein kleiner Bruder war begeistert. Wir teilten uns alles, ohne zu streiten. Meine Mutter jedoch rührte diese Früchte nicht einmal an. Sie sagte lediglich: »Esst nur. Esst alles schnell auf, schnell, bevor euer Vater kommt.« Wir gehorchten diesem Befehl, ohne zu widersprechen. Und ohne irgendwelche Schuldgefühle.
    Ich zwang mich dazu, mir nicht zu viele Fragen über die Art der Verbindung

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