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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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zwischen diesem Mann und meiner Mutter zu stellen. Doch im Grunde wusste ich Bescheid.
    Ich wusste Bescheid und schämte mich dafür. Ein eigenartigerweise recht anregendes Schamgefühl. Unerklärlich. Schamgefühle wem gegenüber? Mir selbst? Den anderen? Allen anderen? Der Familie? Den Nachbarn? Gott?
    Als mir der Mann eines Tages die Früchte überreichte, sagte er: »Dieses Mal sind sie für dich. Für . . . dich.«
    Ich entgegnete: »Das wird meine Mutter freuen.«
    In der darauf folgenden Woche verbrachte ich einen ganzen Nachmittag mit ihm. Mittagsschlaf halten. Und sonst nichts? Er neben mir. Im selben Bett wie ich. Und ich spürte, was meine Mutter gespürt hatte, ich lernte kennen, was sie gekannt hatte: den Geruch des Dorfs, der dem Körper des Mannes mit den Wassermelonen frei und ungehemmt entströmte. Das hatten wir nun gemeinsam.
    Natürlich schämte ich mich dafür. Ein genüssliches Schamgefühl. Das sich mit niemandem teilen ließ.
    Â»Ich habe Lust auf einen Mittagsschlaf.« Das sagte ich mir, gegen meinen Willen, an jenem Morgen, auf dem Suk von Lakhmiss, vor dem Mann mit den Wassermelo
nen, der zu beharrlich war und nicht wusste, dass ein Kapitel in unserer Geschichte abgeschlossen war oder sich dem Ende zuneigte.
    Mein Vater begriff nicht, was vor sich ging. Es war die Rede von meiner Mutter, die noch immer seine Frau war, und ihr Name erklang im Munde dieses ihm vollkommen fremden Mannes. Was er hätte als Alarmsignal interpretieren sollen, galt ihm als Hoffnung. Er empfand keinerlei Eifersucht. Im Gegenteil, er heftete sich an den fremden Mann und fragte ihn stammelnd: »Wann haben Sie meine Frau zum letzten Mal gesehen? Wissen Sie, wo sie jetzt ist? Wo genau? Wissen Sie es?« Der Händler ließ meine Hand fallen und antwortete mit einem verlegenen Lächeln: »Ich wusste nicht, dass sie fort ist. Ist sie wirklich weggegangen? Ganz wirklich?«
    Der Händler war nun genauso entsetzt wie mein Vater. Er versuchte, es zu verbergen. Vergeblich. Seine Augen tanzten nicht mehr, sie waren starr, wie tot.
    Khalids Zimmer war immer in Dunkelheit gehüllt. Die Fensterläden waren vollständig geschlossen.
    Ich suchte das Licht. Es war unter dem Bett. Eine kleine Taschenlampe, die Khalid nachts zum Lesen diente. Ich knipste sie an. Ich war in einer anderen Welt. In einer anderen Dimension. Weit von der Erde entfernt. Eine Villa, verloren im Weltraum. Ich hatte Angst. Ich war aufgeregt. Ich traf meinen Freund Khalid, um diese widersprüchlichen Gefühle zu bewahren und zugleich ein anderer zu werden.
    Im Palast von Khalids Familie hatte die Realität nicht mehr denselben Geschmack und dieselben Farben. Sogar Gott, unser aller Gott, war dort anders. Er war nicht mehr da.
    Khalid aber hatte die Nase voll von dieser Villa, an der er nichts mehr fand. »Ich will hier alles umkrempeln. Alles. Absolut alles. Das Schöne wird bei mir, dank mir eines Tages anders sein. Ich werde alles verändern. Ich werde alles zerstören.« Er war aufrichtig, und um ihn nicht zu verärgern, ihn nicht zu verlieren, tat ich so, als sei ich einverstanden.
    Denn ich liebe diesen Palast, ich will ihn haben, ich würde ihn ohne weiteres als Geschenk annehmen, falls Khalids Familie ihn eines Tages verließe. Dieser Traum reicht mir die Hand. Ich bin da. Ich laufe. Und ich wiederhole ständig: »Khalid ist verrückt. Khalid ist verrückt.«
    Khalid war der Verrücktere von uns beiden. Der freiere?
    Khalid duldete keine Sonne in seinem Zimmer. Sie durfte nicht hereinscheinen, selbst in seiner Abwesenheit nicht
oder gerade in seiner Abwesenheit nicht. Also hatte er den zahlreichen Hausmädchen, die im Dienst seiner Mutter standen, verboten, die Fensterläden seines Zimmers zu öffnen. Um sich Respekt zu verschaffen, drohte er ihnen. Ernsthaft. »Passt auf. Ich werde sauer, sehr sauer, wenn ihr meinen Befehlen nicht gehorcht. Und selbst wenn euch meine Mutter befiehlt, sie zu öffnen, lasst es bleiben. In meinem Zimmer bestimme ich. Ist das klar?«
    Die Hausmädchen entgegneten gar nichts. Sie senkten den Blick und verharrten reglos, wie versteinert. Sie hörten auf zu arbeiten, zu leben. Vor Khalid existierten sie gar nicht mehr.
    Die Sonne war im Laufe der Jahre zu einer mächtigen morbiden Zwangsvorstellung von Khalid geworden. Er sprach andauernd von ihr. Er hatte detaillierte wissenschaftliche

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