Der Tag des Königs
Armen. Wenn er sich umdreht, bleibt die Welt für immer
die Welt, es wird keine Revolution geben, Khalid und ich, wir werden dieselben Freunde sein wie zuvor, mit denselben Bedingungen, auf zwei Wegen, in ein und derselben Sternennacht. Wenn er sich umdreht .â.â. Wenn er sich umdreht .â.â. Wenn er sich zu mir umdreht .â.â. Dreh dich um, Khalid, dreh dich um. Dreh dich um. Rette uns. Dreh dich um. Ich flehe dich an. Dreh dich um. Khalid. Khalid. Khalid .â.â.
Ich wartete eine Minute. Vielleicht zwei. Ich war bereit, noch länger zu warten.
Er lieà mir keine andere Wahl. Er drehte sich nicht um. Er rief lediglich ein einziges Mal, ohne meinen Vornamen zu sagen: »Ich bin bereit.«
Da ich mich nicht rührte, rief er ein zweites Mal, immer noch ohne sich umzudrehen: »Los .â.â. Los .â.â. Stoà mich runter .â.â. Stoà mich runter .â.â. STOSS MICH .â.â. STOSS MICH .â.â.«
Wie oft hatte ich Khalid von dieser gebrochenen Brücke erzählt, wo ich im Sommer ohne Erlaubnis meiner Eltern mit manchen Kumpeln aus unserem Viertel ein, zwei Stunden zum Schwimmen herkam. Wie oft hatte ich ihm von den spektakulären Kopfsprüngen erzählt, denen ich von dieser verbotenen, gefährlichen, abgeschiedenen Stelle hinter dem Wald zugesehen hatte. Ich hatte ihm meine Abenteuer auf und unter dieser Brücke erzählt. Ich hatte erreicht, dass er sie liebte. Lediglich durch meine kurzen, ein wenig zu sehr ausgeschmückten Erzählungen war es mir gelungen, diese Brücke für ihn zur Legende zu machen. Ein Symbol der Freiheit. Das letzte Symbol der Freiheit, hatte er mehrmals gesagt. Wie oft war ich in seinem Zimmer, abgeschottet von der restlichen Welt, in Begeisterung, in Verzückung auf diese Brücke, auf diese Legende zurückgekommen. Er wollte selbstverständlich auch
eines Tages hin. Um meine Lügen zu überprüfen, wie er sagte. Ich hatte ihm versprochen, ihn in den nächsten Sommerferien mitzunehmen.
Es wird keine nächsten Sommerferien geben. Alles hat hier sein Ende.
Er hatte sich die Seele aus dem Leib geschrien.
STOSS MICH !
Er wollte sich ohne mich in meinen Fluss stürzen. Nicht, dass er uns, meine Kumpel aus dem Viertel und mich, imitieren wollte. Er wollte eher hinabstürzen, um in den Himmel zu fliegen, auf dem Wasser zu gehen, auf den Hügeln von Rabat laufen, schnell laufen, die Mauer von Touarga hinter sich lassen, den königlichen Palast betreten, schnell, schnell König Hassan II . suchen, sich ihm zu FüÃen werfen. Ihm die Hände küssen wie in Der Pate .
Ein doppelter Verrat.
Ich war nicht das Opfer von Khalid. Ich war sein Henker. Die Rache zu diesem Zeitpunkt, genau in diesem Augenblick groÃer und ewiger Einsamkeit, hatte einen Sinn.
Mit bloÃen FüÃen begann ich zu laufen, immer schneller zu laufen, auf der heiÃen gebrochenen Brücke, zum Ziel, zum Sieg. Meine Hände taten das Ãbrige. Berührten sanft den nackten, verschwitzten Rücken Khalids. Als dieser Lauf zu Ende war, brach aus meinem Körper eine phänomenale Kraft hervor, um mir dabei zu helfen, den Befehl auszuführen, den mir mein Freund unaufhörlich zurief.â
STOSS MICH !
Der bebende, glückliche Körper Khalids flog für einen lange anhaltenden, gedehnten Augenblick in den Himmel zwischen Salé und Rabat davon. Alsbald stürzte der egoistische und reiche Körper Khalids. Er schlug auf das Wasser auf. Mit einem gewaltigen »Plaaaatsch«.
Khalid überstand es nicht. Er tauchte unter. Schnell. Er sank ab. Im Nu. Er verschwand.
Der Fluss behielt ihn. Genau das wollte ich.
Zwecklos zu weinen.
Freitag
Genau das werde ich zu Gott sagen. Genau so werde ich zu Gott von Khalid sprechen. Ich werde die Wahrheit sagen. Die ganze Wahrheit dieser Geschichte. Dieser drei letzten Tage. Dieser drei letzten Monate.
Ich habe Khalid getötet. Ich bin neben Khalid. Nicht weit von Khalid. Ich sehe den Fluss, der ihn verschlungen hat.
Ich hatte Khalid angelogen. Ich kann nicht schwimmen. Ich hätte ihn nicht retten können. Ich wollte ihn nicht retten.
Ich wollte ihn nicht retten?
Jetzt ist es zu spät, für ihn wie für mich.
Einen Augenblick lang denke ich an vorher.
In einem rasend schnellen Blitz, in einer Sternschnuppe sehe ich diesen Traum, diesen Alptraum wieder, diese Rückkehr zum Ursprung unserer
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