Der Tag des Königs
Strudel in der Tiefe des Bou Regreg?
Wo bist du, Khalid? In der Erde? Im Himmel? Im Wasser jenseits der Welt?
Das Feuer wird es mir sagen. Das Feuer wird mich anleiten. Das Feuer wird mich bestrafen und mir verzeihen. Das Feuer wird uns alle vernichten und wieder lebendig werden lassen, die Gleichen, nur anders, ewig.
Das Feuer. Ich habe keine Angst. Ich werde nicht weinen. Ich bin bereit.
Ich trage Khalids Unterhose. Ich habe Lippenstift aufgelegt. Ich bin Omar. Ich bin weder ein Junge noch ein Mädchen.
Ich bin eins mit dem Verlangen: dasjenige, das mich auf die Welt gebracht hat. Ich bin eins mit dem Zeitpunkt des Verlangens. Ich werde ihm vorhergehen, es widerrufen, es sprengen, es neu schreiben.
Meine Lippen sind rot. Gefallen sie Gott so? Meine Augen sind rot. Sind sie Freunde Satans? Mein Geschlecht ist rot. Ich friere. Es gehört mir nicht mehr.
Die Welt hat einen Geruch. Ekelhaft. Stechend. Eindringlich. Unerträglich. Köstlich. Eine Droge. Den Geruch der
Müllhalde der Amerikaner. Die berühmte und legendäre Müllhalde der Amerikaner. Es gab sie nicht. Doch, es gab sie. Es gibt sie. Ich rieche sie. Sie packt mich. Hüllt mich ein. Ihr Geruch wird mein Geruch sein. So werde ich gehen, von ihm überdeckt. Dies wird meine letzte Erkenntnis sein. Meine letzte Erinnerung.
Ich bin bereit. Mitten auf der Fahrbahn sitzend. Auf dem schwarzen Teer.
Ich bete nicht. Ich kann es nicht erwarten zu gehen. In ein neues Wesen einzutreten. Einen anderen Körper. Ich kann es nicht erwarten zu sehen. Ich kann es nicht erwarten, zu Gott zu sprechen. Er: Er wird über mich richten. Von vornherein akzeptiere ich sein Urteil. Er: Er wird mich betrachten. Vor ihm werde ich endlich nackt sein können. Nackt. Wie am Anfang. Wie mit Khalid.
Die Schuld ist da, in nächster Nähe. In nächster Nähe. Die Szene des Verbrechens wird wieder und wieder gespielt werden. Ohne mich?
Ich rege mich nicht. Ich warte. Ich konzentriere mich. Ich trage nochmals Lippenstift auf. Ein wenig auf meine Wangen.
Ich reiÃe meine Augen sehr weit auf.
Ich habe Angst. Ich zittere.
Ich habe keine Angst. Ich bin mir sicher.
Ich bin Khalid. Ich bin Khalid.
Ein Auto nähert sich. Ich höre es. Es nähert sich in voller Geschwindigkeit. Ich rühre mich nicht. Ich atme nicht mehr. Ich bin noch am Leben. Schaue geradeaus.
Das Auto ist da, ganz nah. Sein Fahrer sieht mich nicht.
Ich denke an Hadda, die schwarze Hausangestellte, an ihren Körper, an ihren Po. An ihre Odyssee.
Ich denke an Bouhaydoura, den Hexenmeister von Tabriquet. Ich sehe ihn lächeln. Er lächelt. Er lächelt mir zu. Er
ist in dem herannahenden Auto. Er kommt mich abholen. Gott hat ihn mir geschickt.
Ich erwidere sein Lächeln. Ich habe Vertrauen. Ich bin festen Glaubens.
Ich sage meinen Namen: »Khalid .â.â. Khalid .â.â. Khalid .â.â.«
Das Auto rammt mich, schleudert mich zurück. Es wirft mich um. Ich fliege. Ich habe die Grenze überschritten.ââ
Ich habe den Geschmack von Blut im Mund.
Ich trinke Blut.
Ich fahre mit der Zunge über die Lippen. Ich höre mein Herz. Ich begleite es. Es wird aufhören zu schlagen.
Ich gehe. Ganz schnell. Ich gehe. Ich leide. Ich sehe. Ich halte beide Hände hin. Ich schlieÃe die Augen nicht.
Auf Wiedersehen.
Donnerstag
Jeden Morgen stehe ich mit hingehaltener Hand auf. Ausharrend.
Ich bin zu schnell gröÃer geworden. Heute Nacht ist mein Körper wieder gewachsen.
Heute bin ich eine andere. Ich habe Geräusche im Kopf. Lauter als gewöhnlich, aber erträglich.
Wie alt bin ich? Ich weià es nicht.
Ich bin kein junges Mädchen mehr. Ich bin keine Jugendliche mehr. Ich bin eine Frau. Die anderen bemerken es nicht wirklich, ich weià es im Innersten. Ich bin eine Frau, doch es flieÃt nie Blut aus mir. Ich bin eine Frau wegen meiner zu fleischigen Lippen, wegen meines dicken, mehr als dicken Hinterns. Ich bin eine Frau wegen meines Geruchs. Er hat sich von heute auf morgen verändert. Mein Herr war es, mein Sidi, der es als Erster bemerkte.
Es war im letzten Jahr. Nie zuvor hatte er mich eines Blickes gewürdigt. Ich war nur eines der zahlreichen Hausmädchen im Dienste seiner bürgerlichen Frau in ihrer groÃen Villa von Salé. Ich wusste nichts über ihn. Ich durfte mich ihm nicht nähern, nicht mit ihm sprechen. Das waren die Anweisungen von Madame, Lalla.
Ich war gerade dabei, von
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