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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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Hand die weißen Hemden von Sidi zu waschen. Lalla wollte, dass ich sie von Hand wasche, denn die Waschmaschine ramponierte sie zu sehr. Sidis Hemden waren teuer. Sie mussten wirklich mit größter Sorgfalt gewaschen werden. Das war meine wesentliche Aufgabe in dieser Villa. Sidis unzähligen Hemden ihre ursprüngliche Weiße zurückzugeben. Lalla, die mir niemals besonders gewogen war, war jedes Mal be
friedigt über meine Arbeit. Sie dankte mir jedes Mal. Mit einem vagen Lächeln.
    Ich war also gerade dabei, im Hinterhof Sidis Hemden zu waschen. Ein großer und schnauzbärtiger Mann schlich sich an mich heran. Er sagte: »Du hast einen feinen Duft!« Als er sah, dass ich ihn nicht erkannte, fügte er hinzu: »Ich bin Hamid El-Roule.«
    Es war Sidi. Der Herr des Hauses. Der Herr über mein Leben seit etwas mehr als zwei Jahren. Er sah sehr vornehm aus. Er war überhaupt nicht, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war besser. Besser als wer?
    Er beugte sich zu mir vor, er kam mir nahe, sehr nahe. Er flüsterte mir ins Ohr: »Ich mag den Geruch, den du verströmst. Ich möchte dich malen. Ein Porträt von dir erstellen.«
    Was er da zu mir sagte, war mir völlig unverständlich, doch ich sah ihm genau an, wie sehr ich ihn verunsicherte. Seine Lippen zitterten. Seine Hände auch ein wenig. Seine Augen waren sanft und gebieterisch zugleich.
    Da ich es nicht wagte, ihn anzuschauen, umschloss er mein Gesicht mit beiden Händen. Was wollte er? Mein Gesicht glühte. Seine Hände dagegen waren sehr kalt, eisig.
    Â»Du hast dich verändert. Ich will aus dir ein schönes Bild machen. Einverstanden?«
    Hatte ich eine Wahl? Es war sowieso nicht das erste Mal. Seit meiner frühesten Kindheit machen alle gegen meinen Willen Liebe mit mir. Ich habe niemals gewagt zu sagen: nein. Ich konnte mir nicht erlauben zu sagen: nein.  
    Wer bin ich schon, um »nein« sagen zu können?
    Auch mein Sidi wollte dasselbe von mir. Mein Geschlecht. Jetzt war er an der Reihe.
    Mit ihm war ich einverstanden, mein Gesicht in seinen
weißen und kalten Händen, die nach einem frischen Parfüm dufteten. Meinen Körper mit seinem neuen Frauengeruch Sidi hinzugeben war mir eine Pflicht. Eine Ehre?  
    Durch ein Kopfnicken stimmte ich zu, und am folgenden Tag, spätnachts, ging ich zu ihm in sein Arbeitszimmer, im hinteren Teil des Gartens.
    Er trank Kaffee. Er hatte die Leinwand vorbereitet, um mich zu malen. Er hielt eine Postkarte in der Hand. Ich grüßte nicht. Er ebenfalls nicht.
    Er trat neben mich. Er schmiegte sein Gesicht an meinen Hals. Und er holte tief Luft. Ich hörte auf zu existieren. Ich war nur noch eine Haut, ein Geruch. Ich kannte weder das eine noch das andere gut. Sidi schien in der Liebe für beides aufzugehen. Wirklich Liebe?
    Ich wurde ohnmächtig. Eine oder zwei Sekunden. Ich war in tiefster Verzückung.
    Ich kam wieder zu Bewusstsein, ohne die Augen zu öffnen. Sidi war noch immer ganz nahe bei mir. Seine beiden Hände untersuchten mein Gesicht, gestalteten es nach, enthüllten es. Sie waren groß, sanft und stark, diese Hände. Sie rochen gut, frisch. Sie waren weiß.
    Sidi ist weiß. Seine Farbe erweckt mich. Ich bin am Leben, mit noch immer geschlossenen Augen. Ich bin nicht mehr auf dieser Erde. Wir sind eins mit der Nacht. Wir schließen Bekanntschaft. Ich lasse alles mit mir geschehen. Ich bin völlig machtlos. Ich bin für Sidi da, ich will ihn. Man hat mir keine andere Wahl gelassen. Ich möchte bei ihm sein. Sein Licht empfangen. Dank ihm weiß werden. Ein Bild werden.
    Sidis Hände befassten sich anschließend mit meinen Schultern, meinen Armen, meinen Brüsten. Sie bereisten meinen Oberkörper. Sie entblößten ihn.
    Meine Brüste waren freigelegt. Ich fror und schämte
mich. Ich schlug die Augen auf, um zu protestieren. Ich konnte aber nicht. Sidi sah mich an. Lächelte mir zu. Und sagte: »Ich bin Hamid. Sag Hamid zu mir. Einverstanden?«
    Wie soll das möglich sein? Das wird mir niemals gelingen.
    Er bestand darauf: »Ich bin Hamid. Sag nicht Sidi zu mir. Und du, wie heißt du?«
    Es war eigenartig. Ich war fast nackt vor Sidi, und er kannte nicht einmal meinen Vornamen.
    Es war eigenartig. Jawohl. Sehr eigenartig. Musste man vor dieser Ungerechtigkeit innehalten, verzichten, sich verschließen, hart werden?
    Sidi gefiel mir, vom ersten Tag an

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