Der Tag des Königs
Freundschaft, von Khalid und mir. Unsere Rivalität. Unseren Lauf. Den Tod am Ende des Tages. Keine Zukunft. Weder für ihn noch für mich.
Ich hatte keine Angst. Es war, als hätte ich schon immer mit diesem Todesgefühl gelebt.
Sein Körper machte »plaaatsch«, als er in den Fluss fiel. Ich wartete. Ich wartete, um sicherzugehen, dass er nicht wieder auftauchte. Gelassen wartete ich bis in die Nacht.
Ich wusste, dass es im Fluss von äuÃerst gefährlichen Strudeln wimmelte. Sie hatten etliche Jungs aus meinem Viertel in die Tiefe gezogen, obwohl diese hervorragende Schwimmer waren. Ihre Leichen wurden nie gefunden. Sie waren nicht meine Freunde. Ich hatte ihre Vornamen vergessen.
Im Augenblick des Umbruchs, wenn der Tag zur Nacht wird, kamen mir diese entfernten Vornamen wieder in den Sinn. Ich sagte sie mir auf. Endlich sollten wir wahre Freunde werden: Said. Jaâfar. Youssef. Hamid. Nabil. Abdelkader. Amine. Hicham. Nourreddine.
Neun Vornamen. Neun Jungs in meinem Alter. Mit dem gleichen Weg. Mit dem gleichen Aussehen. Eine Zeitlang verfeindet. Und nun gemäà der göttlichen VerheiÃung wieder versöhnt. Khalid war bei ihnen eingetroffen. Er ist sicher gerade dabei, mit ihnen Bekanntschaft zu schlieÃen. So stellt er sich vor: »Ich bin Khalid, Omars Freund. Omar aus dem Bettana-Viertel. Ich bin Khalid aus dem Collège Hay-Salam.«
Sie sind zehn. Sie sind zehn und spielen bereits. Sind sie befreit? Haben sie vergessen? Haben sie sich auf der Stelle wiedererkannt, weitab von den Barrieren und Grenzen dieser Welt, der ich noch angehöre?
Herrscht dort ununterbrochen Tag? Und wie ist die Sonne an diesem unsichtbaren Himmel? Und Gott? Und seine Engel?
Und der Teufel: Ist er noch immer der Teufel?
Â
Mir ist kalt. Die Nacht geht zu Ende. Ich habe die gebrochene Brücke wieder verlassen. Allein den Wald von Aïn Houala durchquert.
Ich bin keinem einzigen Mörder begegnet. AuÃer mir.
Ich hatte keine Angst. Ich dachte nach, ohne Schuldgefühle. Ich habe Khalid hinabgestoÃen. Er selbst wollte es so. Ich habe ihn hinabgestoÃen. Es war die einzige Möglichkeit, die mir blieb.
Das Ende der Eifersucht.
Die Ungerechtigkeit mit Ungerechtigkeit erwidern.
Â
Ich war in einer anderen Welt. Ich wusste, was ich getan hatte. Noch war ich mir nicht ganz im Klaren darüber. Ich ging durch den Wald. Seine Bäume schützten mich vor der Kälte. Seine wenigen Tiere leisteten mir Gesellschaft. Auch die wildesten unter ihnen griffen mich nicht an: Hatten sie Angst vor mir? Witterten sie den Geruch des Mordes, den mein ganzer Körper verströmte?
Ich lief. Ich kannte den Weg. Selbst in der Dunkelheit wusste ich, wo ich weitergehen, wo ich abbiegen musste.â
Wo aufhören?
Mein Vater? Meine Mutter? Sie existierten nicht mehr. Ich war nicht mehr ihr Kind. Ich gehörte von nun an einer Kraft an, die sie übertraf, die sie nie zuvor gekannt hatten. Ihre Geschichte, ihre Liebe, ihre Streitigkeiten, ihre Trennung. All dies hatte nun keinerlei Bedeutung mehr.
Mein kleiner Bruder?
Als er mir in den Sinn kam, hielt ich an, ich suchte den ungastlichsten Baum, den spindeldürrsten, ich näherte mich ihm, ich umschloss ihn mit den Armen, ich drückte fest, ich lehnte den Kopf an ihn, ich küsste ihn, ich gab ihm einen Vornamen. Dreimal denselben Vornamen. Den meines Bruders. Othman.
Er wird mir fehlen. Ihm werde ich nachweinen. Ihn werde ich herbeirufen. Ich werde für ihn einen Platz zurückbehalten. Einen Stern für ihn. Ihn werde ich wirklich kennen.
Ich lief barfüÃig durch den Wald. In der rechten Hand einen Lippenstift. Chanel. Er war neu. Er kam aus Paris. Er war für Khalids Freundin bestimmt. Er war das Einzige, was ich mitnahm, als ich die gebrochene Brücke verlieÃ. Warum, wusste ich nicht.
Nun, auf dieser StraÃe, mitten im Wald, weià ich es. Nun,
da die Nacht vorbeigeht, wird dieses Verbrechen wiederkehren, und die Erinnerung daran wird entsetzlich sein. Ich sehe die Schuld, sie kommt rasend schnell auf mich zu.
Ich will kein Urteil. Ich will keinen Skandal. Ich will nun auch gehen.
BeiÃende Kälte. Ich bin mitten auf der StraÃe. Ich warte auf das erste vorbeifahrende Auto, um mich ihm anzubieten. Ich warte, nicht auf den Tod, sondern auf das Feuer, das mich an einen anderen Ort mitnehmen wird. Zu Khalid zurückkehren.
Er fehlt mir, Khalid.
Wo bist du, Khalid? Im Fluss? In einem
Weitere Kostenlose Bücher