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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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gefiel er mir.
    Ich blieb für seine Begierden, seine Hände, sein Vorhaben offen. Sein sexuelles Vorhaben. Sein künstlerisches.
    Ich beantwortete seine Frage, indem ich ihm direkt in die Augen blickte. Eine Herausforderung.
    Ich bin Hadda. Hadda. Hadda Salmi. Nachfahrin von Sklaven. Schwarz. Schwarz. Marokkanerin, laut dem, was man mir gesagt hat.
    Ich bin Hadda. Ohne Familie aus freier Entscheidung. Von einem Baum abgesägt.
    Ich bin Hadda. Ein wenig Hexe. Ein wenig Seherin. Gegen meinen Willen.
    Ich bin Hadda. Ich bin vor langer Zeit ausgewandert. Von einem Haus zum anderen bis hierher. Bis zu Euch, heute Abend, Sidi Hamid.
    Ich senkte den Blick.
    Sidi trat erneut neben mich. Er streichelte mir langsam die Schultern und den Hals, dann murmelte er mir ins linke Ohr: »Nicht Sidi Hamid. Einfach Hamid.«
    Für mich war es unmöglich, ihn nur mit seinem Vornamen zu nennen. Unmöglich.
    Was geschah zwischen uns? Ich begriff nicht alles. Ich sah lediglich, wie das Verlangen Sidis zunahm und so stark war wie meines.
    Sidi hatte das Anrecht, diesem Verlangen Ausdruck zu verleihen und sich mir mit meiner gespielten Passivität zu nähern. Genau das wollte ich auch in jener Nacht. Mich entblößen. Meinen Körper hinter mir lassen. Mein Schicksal hinter mir lassen. Vor Sidis weißes Geschlecht treten und trinken. Sklavin spielen. Die Regeln vergessen. Die Welt vergessen. Meine Haut lieben. Meinen Geruch schenken.
    Wir haben keine Liebe gemacht. Besser noch: Wir umkreisten sie mehrere Stunden lang.
    Es war heiß. Sidi zog sein weißes Hemd aus. Nun trug er nur eine Blue Jeans und ein graues Unterhemd. Er hatte bloße Füße. Eben war es mir erst aufgefallen. Ich betrachtete sie, diese neuen Füße. Ebenso große Füße, wie der restliche Körper Sidis groß war. Ebenso weiß wie die Schultern breit, wie der Hals massig. Sidi war nicht dick. Nein, überhaupt nicht. Er hatte die Gesundheit desjenigen, der sich auf keine überflüssige Maßlosigkeit einlässt.
    Soweit ich gehört hatte, ging Sidi abends nie aus. Nie? Warum?
    Fast hätte ich ihm diese beiden Fragen gestellt.
    Sidis Füße kamen auf mich zu, immer näher. Sidi, der alles verstanden hatte, sagte: »Gefallen sie dir? Gefallen dir meine Füße?«
    Ich senkte den Kopf.
    Â»Nimm den linken. Nimm ihn. Er gehört dir.«
    Ich setzte mich in einen Sessel.
    Ich nahm Sidis linken Fuß.
    Jetzt lag er auf meinen Knien. Ich wagte nicht, ihn zu be
rühren, zu streicheln, zu küssen. Ich hatte Angst. Die Situation schien mir plötzlich unwirklich. Ich geriet in Panik. Was tun mit diesem linken Fuß auf meinen Knien? 
    Sidi lächelte. Er nahm eine Tasse mit kaltem Kaffee, die schon lange auf dem Schreibtisch wartete, trank sie in Sekundenschnelle aus und kam zurück zu mir. Er sah mich weiterhin lächelnd an. Meine Panik amüsierte ihn bestimmt. Ich fand das grausam.
    War Sidi ein grausamer Kerl?
    Der Fuß lockte mich weiterhin. Sidi lächelte nach wie vor. War das eine Ermutigung? Wahrscheinlich. Aber sicher war ich mir nicht.
    Ich rang mich zu der Überzeugung durch, dass er grausam war. Ich wagte es also. Ich berührte den Fuß mit der rechten Hand. Er war kalt, dieser Fuß, kalt und erfrischend. Ich mochte das und wollte mehr davon.
    Ich legte die andere Hand auf den Fuß. Nun war er ganz in meinem Besitz, in meinen Händen. Es gab nur noch ihn und mich. Ich konnte alles andere vergessen. Ich konnte alles Mögliche erfinden und es sogleich an diesem Fuß ausprobieren. Ich konnte mich ihm nähern, ihn einatmen, ihn nehmen, ihn verschlingen, ihn durch den Mund in mir verschwinden lassen. Ich konnte ihn strafen, ihn kneifen. Ihn beißen. Ich konnte ihn kitzeln, ein wenig, heftig. Ich konnte alles. Sidi schien von vornherein mit meinen Entscheidungen, mit meinen Träumen einverstanden zu sein. Er war hingerissen. Er hatte mir seinen Fuß überlassen.
    Ich hatte noch nie einen Fuß aus solcher Nähe gekannt. 
    Ich nutzte diese Gelegenheit, um aufmerksam diesen unbekannten Kontinent, diese fremde Wurzel zu betrachten. Diese ergreifende Intimität. Die höchste.
    Dieser Fuß gehört mir nun für immer.
    Sidi hatte es deutlich gesagt und wiederholt: »Er gehört dir, ja dir, dieser Fuß. Nimm ihn.«
    Ich glaubte daran.
    Ich glaube noch heute daran.
    Ich habe diesen Fuß von allen Seiten her durchquert. Und ich habe

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