Der Tag mit Tiger - Roman
Tellerchen.«
»Woher denn«, antwortete Christian und wrang den Wischlappen aus. »Sie würde es zwar nie zugeben, aber da war wohl ein Großvater … Also auf Rassekatzen-Ausstellungen würde sie nie einen Blumentopf gewinnen.«
Anne räumte die letzten Dosen in den Schrank und meinte mit leisem Bedauern: »Na, jetzt mit dem verbrannten Ohr wäre das wahrscheinlich ohnehin keine Karriere mehr für sie.«
»Nein, dafür bekommt sie das Verwundetenabzeichen und das Eiserne Kreuz und den Bundesverdienstorden und was es sonst noch so alles für Auszeichnungen gibt. Den Anblick werde ich mein Lebtag nicht mehr vergessen, wie sie da heute Nacht, den angesengten Schwanz stolz erhoben, aus den Trümmern des brennenden Hauses auf uns zu marschierte.«
Christian hatte bei aller sonstigen Nüchternheit eine gewisse Ader zur romantischen Verklärung bei Angelegenheiten von Personen, die er mochte.
Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer zurück, wo die soeben besungene Heldin friedlich und dekorativ im Sessel schlief.
»Ich muss mir irgendwas für Tiger einfallen lassen«, meinte Anne, plötzlich wieder traurig geworden. »Ich kann ihn doch nicht einfach in den Mülleimer werfen.«
Allein bei dem Gedanken begann sie wieder zu schniefen und hielt sich eines der feuchten Taschentücher an die Nase.
»Nein, das können Sie wahrhaftig nicht«, tröstete Christian sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Wenn Sie mich nicht für allzu kindisch halten, dann würde ich vorschlagen, wir begraben ihn heute Abend oben am Waldrand. Da beobachtet uns keiner, und ein Katzengrab dort ist völlig unauffällig.«
Dankbar schaute Anne zu ihm hoch. »Das ist eine wunderbare Idee und kein bisschen kindisch. Oder ich bin genauso kindisch wie Sie.«
»Das wird’s wohl sein.« Christian ließ sie los und beugte sich zu Nina. »Wach auf, altes Schlafmützchen, unser Besuch ist zu Ende. Wir müssen heute noch eine Menge erledigen.«
Nina blinzelte ihn an, machte allerdings keine Anstalten aufzustehen. Er wollte sie hochheben und sich wieder um die Schultern legen, aber sie krallte sich im Polster fest.
»Mhm, sieht aus, als müssten Sie meinen Sessel mitnehmen«, meinte Anne, die den verzweifelten Versuch beobachtete, Nina gegen ihren Willen irgendwohin zu transportieren.
»Zumindest wesentliche Teile der Polsterung. Nina, so lassdoch los!« Hilflos sah Christian sich um. »Ich kann ihr doch nicht auf die Pfoten hauen, die sind doch noch ganz wund. Nina, du störrisches Schlappohr, nimm die Krallen da bitte raus!«
Er hörte, wie Anne leise zu lachen begann, und gab den Kampf auf. Kläglich grinsend meinte er zu ihr: »Sehen Sie, das war schon immer mein Problem. Viel zu weich, wenn mir jemand ernsthaft Widerstand entgegensetzt. Darf ich Sie um eine Weile Gastfreundschaft für Nina bitten, bis sie sich selbst bequemt, wieder zu mir zurückzukommen?«
Anne, zwischen Lächeln und Weinen, stimmte zu. »Besser Nina ist hier als mein Sessel bei Ihnen. Es wäre mir sogar sehr lieb, wenn sie ein bisschen hier bliebe, dann bin ich doch heute nicht ganz katzenlos.«
Christian verabschiedete sich und erklärte, am Abend zur Beisetzung wieder vorbeizukommen.
Ein sonniger Samstag neigte sich dem Ende zu, als Christian an der Haustür klingelte. Anne hatte sich im Laufe des Tages wieder in ihr gepflegtes Selbst verwandelt und stand jetzt, die widerspenstigen kurzen Haare zu einem samtigen dunklen Fell gebürstet, in schwarzen Jeans und einem weiten, weißen Hemd an der Tür. Christian hatte sich in ähnlicher Weise gewandet und hielt eine Holzkiste in der Hand.
»Hallo, haben Sie den Tag gut überstanden?«
»Ja, ich denke schon. Nina hat mich noch ein bisschen getröstet und ist dann am frühen Nachmittag rausgelaufen. Ich nehme an, sie ist zu Ihnen gekommen.«
»Ja, ist sie. Im Vergleich zu heute Morgen sehen Sie auch schon wieder viel besser aus.«
»Na, wenigsten sind Sie ehrlich. Heute Morgen habe ich einBild des Grauens abgegeben. Was ist mit dieser Kiste? Kommen Sie doch herein!«
Christian folgte Anne ins Wohnzimmer und stellte die sperrige Holzkiste auf das Sofa, auf dem noch immer Tiger auf seiner Decke lag. Anne hatte es tagsüber nicht über sich gebracht, ihn von dort wegzunehmen.
»Ich dachte, wir legen ihn auf einer alten Decke hier hinein«, schlug er vor und sah sie fragend an.
»Ja, das wird gut sein. Aber auf seiner eigenen Decke soll er schon bleiben.«
Vorsichtig hoben sie
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