Der Tag mit Tiger - Roman
vierunddreißig Jahre, geschieden, wohnhaft Beethovenstraße 39 und Besitzer einer Scottish Fold, cremefarben, fünf Jahre alt.«
Jetzt fühlte sich Beamter Müller endgültig auf den Arm genommen und setzte zu einem scharfen Verweis an, als sein Vorgesetzter aus dem Dunkel auftauchte.
»Guten Morgen, Herr Braun. Eine Scottish Fold, sagen Sie? Etwa das zerzauste Geschöpf, das dort auf uns zugehumpelt kommt?«
Christian und Minni starrten gleichzeitig in die gewiesene Richtung.
Da kam Nina.
Ihr Fell glänzte im letzten Feuerschein, den geschwärzten Schwanz hielt sie stolz erhoben, und im Maul baumelte der Schlüsselbund. Der daran befestigten Katzenschwanz schleifte auf dem Boden, und so tapste sie leicht schwankend auf die Menschengruppe zu.
Als Christian neben ihr kniete ließ sie sich erschöpft fallen.
Auch Minni beugte sich herunter und griff, einer plötzlichen Eingebung folgend, nach dem Schlüssel.
»Was bringst du uns denn da Schönes?«, erkundigte sie sich und nahm der Katze den Gegenstand aus dem Maul. Befremdet beäugte sie das Ding in ihrer Hand einen Moment. Dann traf sie die Erkenntnis.
»Cleo«, flüsterte sie, drehte den Schlüssel um und betrachtete den Namensanhänger.
»Rainer ›Dick‹ Rehbein«, buchstabierte sie und sah auf. Sie wusste später nie zu sagen, warum ihr Blick in diesem Moment genau auf die sich vorsichtig aus der Zuschauermenge entfernenden Jungen fiel, aber sie erkannte sie und in diesem Augenblick auch die Zusammenhänge.
»Mörder, Brandstifter, Tierquäler!«, schrie Minni mit einer Stimme, die auf menschliche Art Ninas um nichts nachstand. »Haltet sie! Mörder, Brandstifter!«
Mit ausgestrecktem Arm wies sie auf die im Laufschritt fliehenden Jungen. Keiner der Umstehenden reagierte schnell genug, um sie einzuholen, und so konnten sie in der nächsten Straße verschwinden.
Verfolgung
»Verdammt, verdammt, verdammt, der Schlüssel! Die alte Kuh hat den Schüssel.«
»Was machen wir denn jetzt?« Panik stand in Dicks Augen.
»Kommt, zum Auto! Noch folgt uns keiner. Wir fahren zu Ernis Scheune. Erstmal.«
Die vier rannten weiter, Dick keuchend vor Angst und Übergewicht als Letzter.Der ältere, behäbige Herr in Zivil stellte sich als Inspektor Wagner vor und bekam aus der aufgeregten Minni nach kurzer Zeit durch ruhiges Befragen heraus, was sie entdeckt hatte. Minni kannte die jungen Männer zumindest vom Sehen, Dick sogar ein wenig, weil er um einige Ecken herum zu ihrer Verwandtschaft gehörte.
»Sie fahren oft mit einem kleinen, aufgemotzten Auto hier herum. Danach sollten Sie jetzt Ausschau halten«, riet sie den Polizisten.
In der Ferne hörte man die Reifen eines Fahrzeugs auf dem Asphalt durchdrehen und dann einen Motor in höchster Drehzahl aufjaulen.
»Wissen Sie zufällig die Nummer des Wagens?«
Minni musste passen, aber Christian erhob sich, die schlaffe Nina im Arm, und meinte: »Hiesiges Kennzeichen, dann XX und 403 oder 408.«
»Geben Sie das sofort durch!«, befahl Inspektor Wagner seinen plötzlich in eine Nebenrolle verbannten Mitarbeiter. Der Beamte, glücklich wieder eingeschaltet zu sein, stellte seine Wichtigkeit sofort unter Beweis, indem er mit großem Getue das Funkgerät von seinem Gürtel löste und Wagentyp, Kennzeichen und Fluchtrichtung an die Kollegen in den Fahrzeugen durchgab. Als Vergehen gab er »Mord und Brandstiftung« an.
»Du lieber Gott, Müller, wer hat denn hier was von Mord gesagt?«, fuhr ihn sein Vorgesetzter an.
Polizist Müller verteidigte sich: »Die Frau dort hat doch ›Mörder‹ geschrieen.«
»Hören Sie eigentlich nie zu? Die Jungs haben vermutlich die Katze der Dame getötet. Aber was soll’s? Damit werden unsere Leute wenigstens die Dringlichkeit nicht unterschätzen.«
Sein junger Mitarbeiter war jetzt völlig entnervt. »Katzen – ständig reden diese Spinner hier von Katzen«, murmelte er vor sich hin.
Inspektor Wagner hörte das unwillige Gebrummel und klärte ihn auf: »Sehen Sie, Müller, ich habe auch zwei Katzen. Eine Faltohr-Katze, aber lange nicht ein so schönes Exemplar, wie das Ihre, Herr Braun, und eine zugewanderte Wald- und Wiesenkatze. Beide«, wandte er sich tadelnd an seinen jungen Kollegen, »sind ganz außerordentlich sensible und intelligente Tiere.« Er lächelte dann leicht bei seinem nächsten Vorschlag. »Wenn meine Kati Junge bekommt, sollten Sie eines zu sich nehmen. Es fördert die Geduld und Ausgeglichenheit, wissen Sie.«
Christian hatte sich inzwischen mit
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