Der Tag wird kommen
ihre Umgebung ein Teil davon ist? Vielleicht ist sie vor etwas Unangenehmem in der realen Welt geflohen, an einen Ort, an dem sie lieber sein würde. Dann sollte ich besser aufhören, ihr das kaputt zu machen. Mir gefällt die Welt, von der sie erzählt. Das ist wie im Film.
Egal, ob es das ist oder sie nur ein Spiel mit mir spielt. Mich interessiert, wie weit sie es treibt. Ich gehe mit meiner Kamera nach draußen und knipse ein Foto von unserem Haus.
Liebe Fera,
ich habe mich noch nie so mit einem Mädchen unterhalten wie mit dir. Nicht mal im Internet. Ich finde dich cool.
Ich will ehrlich sein. Es fällt mir schwer zu glauben, dass du aus der Zukunft bist. Das ist nämlich unmöglich. Aber ich bin ja nur ein Delfin. Ich verstehe nicht alles, so viel weiß ich immerhin. Wer kann schon sagen, was die Zukunft bringt? Ich möchte dir gern glauben. Wenn es dir hilft, kann ich dir alles darüber erzählen, wie es hier ist, wo ich wohne. Was wir so denken, oder jedenfalls, was ich denke. Ich weiß nicht, wie es in der Zukunft ist, aber hier bei uns können wir keine Gedanken lesen.
Ich habe ein Foto von dem Haus gemacht, in dem ich wohne. Ich füge es als Dateianhang bei. Hoffentlich kannst du das in der Zukunft öffnen. Vielleicht erfordert das zu viel Energie oder so was in der Art. Meine Mum und ich wohnen in dem Reihenhaus ganz links. Mein Zimmer ist im ersten Stock. Da, wo der Pfeil auf das Fenster zeigt. (Wir hatten früher keine solchen Pfeile an unseren Häusern, ich habe ihn eingezeichnet. Oink, oink!)
Kurz bevor ich in die Grundschule kam, sind wir hierhergezogen. Ich brauche nur fünfzehn Minuten zu Fuß bis zu meiner Schule. Manchmal mache ich einen Umweg. Wenn ich jemanden sehe, dem ich nicht begegnen will. Der Umweg führt durch einen kleinen Wald. Das ist eigentlich auch schon mein komplettes Trainingsprogramm. Ich bin kein sportlicher Typ.
Die Schule ist einer der schlimmsten Orte, die man sich vorstellen kann, aber ich gehe trotzdem hin. Wir müssen viele Jahre zur Schule, ohne danach großartig schlauer zu sein. Das Ziel ist wohl, dass wir lernen sollen, was der Staat für wichtig hält, damit wir in der Welt zurechtkommen. Mein Vater nennt das ›gut gemeinte Indoktrination, die man mit einer Prise Vorsicht und einer Überdosis Skepsis genießen sollte‹.
Dass die Welt (beinahe) untergehen wird, ist eine heftige Vorstellung. Ich hoffe, es passiert nicht gleich morgen. Doch der Gedanke, dass die Schule von Wurzeln und Moos überwuchert wird, der gefällt mir. Ich weiß nicht, warum die Welt untergehen wird, aber ich weiß eine ganze Menge über das Böse. Du hattest Andreas ja schon ins Spiel gebracht, da kann ich dir ja gleich ein bisschen von ihm erzählen.
Mir ist unbegreiflich, warum alle tun, was Andreas will. Oder warum sie ihn alles tun lassen, was er will. Die anderen sind es, die ihn gefährlich machen. Man sieht, dass sie Angst vor ihm haben. Ihr schlimmster Albtraum ist, einmal dort zu landen, wo ich bin. Denn Andreas ist zu jedem gemein. Er hat ein ganz besonderes Talent, die Leute niederzumachen, sodass selbst das hübscheste Mädchen sich hässlich fühlt und der coolste Junge sich wie ein Schwächling vorkommt. Das ist ja auch so einfach. Man muss nur brutal genug sein. Alle an meiner Schule haben Angst, dass ihre Fassade zerbricht. Andreas weiß genau, welche Knöpfe er drücken muss. Die Sache ist nur, dass ich keine Fassade mehr habe, die zerbrechen könnte. Also versucht er stattdessen, mich zu zerbrechen. Und er sorgt dafür, dass keiner etwas mit mir zu tun haben will. Denn keiner will sich anstecken. Keiner will derjenige sein, der ganz unten ist. Aber einer muss es sein. Und alle sind froh, dass ich es bin. Falls solche Typen in der Zukunft ausgerottet sein sollten, kann ich nur gratulieren. Dann muss deine Welt wirklich ein besserer Ort sein.
Ich freue mich darauf, mehr über die Zukunft zu erfahren.
Hans Petter
»Hans Petter, kannst du nach der Stunde mit mir kommen? Es geht um die Sache, du weißt schon.«
Gunnar hat mich zu seinem Projekt gemacht. Ich kann es an seinem Blick sehen. Ich hatte diese »Sache« schon wieder ganz verdrängt. Ist bestimmt zwei Wochen her, dass er davon gesprochen hat.
Ich grüble während der ganzen Unterrichtsstunde darüber nach, wie ich da am besten rauskomme. Andreas hat gute Laune. Er versucht, meinen Blick auf sich zu ziehen. Zerpflückt einen Tafelschwamm in kleine Stücke und bewirft mich damit, wenn Gunnar es nicht sieht. Heute
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