Der Tag wird kommen
Nahrungsmittelproduktion war nahezu unmöglich geworden. Die Zivilisation lag in Schutt und Asche. Die Menschheit stand vor dem Untergang.
Eine Gruppe Überlebender bündelte ihre Kräfte für einen Neuanfang. Sie wollten die Fehler der Vergangenheit wiedergutmachen. Durch den Einsatz von Technologien zum Wohl der Menschheit und den sparsamen Umgang mit den Ressourcen wollten sie eine Gesellschaft aufbauen, in der das Potenzial des Einzelnen voll ausgeschöpft werden konnte. Eine Gesellschaft, die keinen Nährboden für die Entwicklung des Bösen bot. Diese visionären, mutigen Männer und Frauen versammelten alle Überlebenden um sich, die zur Kooperation bereit waren, und brachen auf in eine neue Zeit. Im Jahr null wurde der Rat gegründet.
Das ist also 367 Jahre her. Die Bevölkerung ist inzwischen wieder gewachsen, jedoch nicht im Ungleichgewicht mit der Nahrungsmittelproduktion. Die Menschen leben länger und haben eine bessere Lebensqualität. Die Natur ist wieder gesund und fruchtbar, wir entdecken immer neue Tierarten, von denen wir angenommen hatten, sie seien längst ausgestorben. Jeder hat seinen Platz in der Gesellschaft. Jeder erfüllt seine Aufgaben. Jeder von uns ist wichtig. Es gibt keine Nationen mehr, alle stehen unter dem Schutz des Rates. Niemand führt Kriege. Niemand hungert.
Die Akademie, an der ich studiere, liegt am Stadtrand. Mein Zimmer ist in der 83. Etage. Ich habe ein Eckzimmer, darüber freue ich mich sehr. Das Haus ist neunzig Stockwerke hoch, das ist bei uns eine durchschnittliche Höhe. Wir bauen hoch und auf dichtem Raum. Das erspart lange Transportwege. Und es lässt der Natur um uns herum mehr Platz.
Die Stadt ist ziemlich groß, die drittgrößte der Welt. Aber weil wir so eng siedeln, ist sie von der Fläche her nicht sonderlich riesig. Zwischen den Hochhäusern ist überall Wald. Nach der Katastrophe hat man die Natur sich selbst überlassen und alles ist schön dicht und grün geworden. Es ist unglaublich, wie sie es geschafft hat, sich zu regenerieren. Wir haben Bilder gesehen, wie es hier zu der Zeit aussah, als der Rat sich gegründet hat. Zerstörte Häuser, verbrannte Erde, harte Schatten, tote Vögel, Leichen. Da war kein Leben, keine Farbe, kein Grün. Aber das ist alles zurückgekommen.
Die Reste der vergangenen Zivilisation sind zum Teil von Wurzeln und Moos verschluckt worden. Ich liebe es, alte Häuser zwischen den Bäumen zu entdecken. Wenn ich freihabe, gehe ich oft allein in den Wald. Sobald ich den Weg verlasse, stoße ich auf eine Art vergessene Stadt. Von manchen Häusern sind noch mehrere Stockwerke erhalten. Vögel nisten in den alten Fensterhöhlen. Drinnen im Dunkel sehe ich Tiere huschen. Es ist, als seien die Ruinen ein Teil der Natur geworden, ein Teil des Pflanzen- und Tierreichs. Aber gleichzeitig kann man unter all dem Grün auch eine Geschichte erahnen. Ich versuche, mir ein Bild davon zu machen, wie es hier einmal ausgesehen haben muss. Stunden habe ich damit zugebracht, mir Geschichten über die Leute auszudenken, die in dieser Stadt gewohnt haben. Darüber, wie sie wohl waren.
Es gibt nicht viele Bilder aus der Zeit vor dem Nullpunkt. Der Krieg hat das meiste zerstört. Außerdem spielte das Bewahren von historischen Dokumenten keine große Rolle. Alle Kräfte wurden auf den Neuanfang konzentriert, nicht auf die Vergangenheit und die Fehler, die gemacht worden waren. In der Akademie haben wir viel von eurer Technologie rekonstruiert, um sie weiterzuentwickeln und zum Wohl der Gesellschaft nutzen zu können. Dabei haben wir alte gespeicherte Fotos gefunden. Ich habe sie mir immer wieder angeschaut. Ich wollte so gern begreifen, wie die Welt früher ausgesehen hat. Ich wollte verstehen, wie die Menschen dachten, wie du denkst. Ich wollte verstehen, warum alles so gekommen ist.
Ich mag dich. Ich hoffe, dass du auch weiterhin mit mir redest, damit ich noch mehr erfahren kann.
Fera aus der Zukunft
Wow. Ein richtiges Utopia. Fera muss ein absoluter Science-Fiction-Fan sein. Würde gern mal wissen, ob die bei sich in der Klinik alle in der gleichen Kleidung herumlaufen. Rollkragenpullover und Jogginghosen. Und ob sie einen Big Brother haben, der alles sieht.
Hat sie sich das selbst ausgedacht? Oder hat sie das aus einem Buch, das ich nicht kenne? Oder aus einem Film, den ich nicht gesehen habe?
Könnte es nicht sein, dass sie in einer Art inneren Welt lebt? Dass es ihre Gedanken sind, die sie beschreibt, Stimmen in ihrem Kopf. Glaubt sie, dass
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