Der Tag wird kommen
alles einen Sinn.
»Ich hab wohl ein wenig Angst davor, wie du es aufnimmst«, fügt sie hinzu.
Ich lächle. »Bist du verliebt, Mum? Hast du jemanden kennengelernt?«
Sie lächelt ebenfalls. Erleichtert. Und schlägt die Hände vors Gesicht.
»Ja, man kann wohl sagen, dass ich verliebt bin. Ich weiß noch nicht, wie ernst es ist, aber ich habe das Gefühl, dass alles passt. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich es dir erzählen soll.«
»Warum? Ich habe nichts dagegen, dass du dir wieder einen Mann suchst. Wird ja langsam mal Zeit, oder?«
Sie kichert erneut.
Bitte, lass es einen Mann sein! Vielleicht ist Mum eine von denen, die plötzlich lesbisch werden? Das passiert ja andauernd.
»Das stimmt wohl. Die Sache ist nur, dass du ihn kennst, und das macht es etwas komplizierter.«
Ein Er also.
»Ich kenne ihn? Wer ist es denn?«
»Gunnar.«
Sie spricht seinen Namen anders aus, als ich es getan hätte. Wenn neben ihrem Kopf eine Sprechblase stünde, wäre sie mit Glitzerstaub bestreut und mit rosa Herzchen umrahmt.
»Du triffst dich mit meinem Lehrer?«
»Siehst du, ich dachte mir doch, dass du es ein bisschen komisch finden würdest. Aber Gunnar und ich haben nun mal viel miteinander geredet und irgendwann hat es plötzlich gefunkt.«
Ich stehe da und starre Mum an. Ohne die blasseste Ahnung, was ich sagen soll. Ich wusste ja, dass sie nicht die Schlaueste ist, aber zumindest hat sie immer an mich gedacht. Alles, was sie getan hat, hat sie mit der Absicht getan, mir zu helfen, auch wenn es manchmal das Gegenteil bewirkt hat. Und jetzt das! Gunnar als Stiefvater!
Sie sieht mich mit flehenden Augen an. Will meinen Segen.
»Hast du sie noch alle?«, rutscht es mir schließlich heraus. »Was willst du denn mit dem? Es gibt so viele Männer auf der Welt, wieso ausgerechnet Gunnar?«
»Aber, Hans Petter, so was kann man doch nicht steuern. Und er ist nett. Außerdem mag er dich sehr gern.«
»Du kriegst doch wohl auch einen anderen ab?«
Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Das darf auf keinen Fall passieren. Nicht vor Mum. Ich drehe mich um und gehe nach oben auf mein Zimmer. Versuche, den Impuls zu unterdrücken, etwas kaputt zu machen. Lasse es an dem Haufen Schmutzwäsche aus, der auf der Treppe liegt. Dreckige Jeans und verknitterte Hemden segeln die Stufen hinunter.
Ich bleibe oben, bis Mum gegangen ist.
Ins Kino mit Gunnar.
Falls sie nicht den Film sausen lassen und stattdessen über mich reden. Es kann einem die Luft abschnüren. Ich atme schon schwerer. Das hätte ich nie von Mum gedacht. Irgendwas in mir wühlt mein Blut auf, das brodelt und juckt und macht, dass ich nicht denken, mich nicht entspannen kann. Ich muss was tun, ich kann das nicht zulassen. Ich gehe die Treppe hinunter, auf der Suche nach einer passenden Rache.
Im Kühlschrank liegt eine Flasche Weißwein und blinkt mich an. Ich wette, die hat Mum gekauft, um bei Gunnar Eindruck zu schinden. Sie hat bestimmt vor, ihn hierher einzuladen, im Wohnzimmer bei einem Glas Wein mit ihm auf dem Sofa zu sitzen und mich zu zwingen, mir ihr Geturtel anzuhören. Ich nehme die Flasche heraus, um sie im Waschbecken zu zertrümmern. Aber dann habe ich eine bessere Idee.
Ich werde sie austrinken.
Ich habe schon mal ein bisschen von Mums Wein probiert. Sie hat einen Tetrapak im Küchenschrank.
Ab und zu lässt Dad mich von seinem Bier trinken, wenn wir unterwegs sind und er sicher ist, dass es keiner sieht. Aber ich bin ja nicht gerade einer, der auf Partys rumhängt. Ich habe mir nie ein Sixpack beim Kiosk an der Ecke besorgt, wo sie es mit der Altersbeschränkung nicht so genau nehmen. Und ich habe noch nie den eleganten Korkenzieher benutzt, den Mum letztes Jahr von einer Freundin zu Weihnachten gekriegt hat.
Ich werde schon herausfinden, wie er funktioniert. Ich bin ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen, verdammt noch mal. Aber ich werde aus dem Teil einfach nicht schlau.
Nicht zu fassen, dass ich an einem Gegenstand scheitere, mit dem Mum ohne Probleme umgehen kann. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Ich habe doch gesehen, wie sie den Hebel ansetzt und den Korken rauswuppt.
Ich nehme alle Kraft zusammen, ziehe am Hebel und fühle mich wie ein Sieger, als er nachgibt, aber da verschwindet der Korken in der Flasche und der Wein schießt heraus. Das Zeug brennt in den Augen, kleckert über meinen Pullover, spritzt an die Wand und läuft auf den Fußboden.
Na, immerhin ist die Flasche offen.
Und ich habe keine Lust
Weitere Kostenlose Bücher