Der Tag wird kommen
die, dass ich voll war und eine irre Wut im Bauch hatte und Sachen von mir gegeben habe, die ich nicht hätte sagen sollen.
Das entschuldigt natürlich nichts, aber ich hoffe, du glaubst mir, wenn ich dir sage, dass es mir wirklich leidtut.
Um ehrlich zu sein, ist es nicht leicht, dir zu glauben. Es erscheint mir so abgedreht, dass du in einer ganz anderen Zeit lebst und gleichzeitig mit mir sprechen kannst. Das ist ebenso wahrscheinlich wie parallele Universen und die sich ausdehnende Ewigkeit. Aber genau das gibt es ja, jedenfalls in der Theorie. Also warum solltest du nicht aus der Zukunft kommen? Aber das Wichtigste ist: Warum sollte das etwas zu bedeuten haben? Ich mag dich. Du bist meine beste Freundin. Mir ist es egal, in welcher Zeit du lebst, solange du mit mir redest, mir zuhörst, mir von deinem Leben erzählst und einfach da bist. Warum muss ich so kritisch sein? Warum solltest du lügen? Ich hoffe, du kannst vergessen, was ich gesagt habe, und wieder mit mir chatten.
Dein reuevoller Delfin
Mum ruft mich, sie will einen Film sehen. Sie ist dran mit Aussuchen, also wird es irgendein langweiliges Drama, aber das ist vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man sich sowieso ziemlich beschissen fühlt. Zu meiner großen Überraschung hat sie einen von meinen Filmen eingelegt. Solaris . Ich hatte eigentlich vorgehabt, zuerst die russische Version anzuschauen, denn die Originale sind immer die besten, aber das sage ich Mum nicht.
»Ich hab gesehen, dass der mit George Clooney ist«, sagt sie und lächelt mich an.
»Würg«, sage ich automatisch.
»Ein echter Traummann«, seufzt sie, um mich zu ärgern.
»Lieber der als Gunnar«, rutscht es mir heraus. Im selben Moment wird mir eiskalt vor Schreck. Mum hat seinen Namen seit gestern nicht mehr erwähnt. Ich habe überhaupt keine Lust, über den Typen zu reden, und dann fange ich auch noch selbst davon an. Ich könnte mit dem Kopf auf die Tischplatte hämmern, so sauer bin ich auf mich, aber stattdessen starre ich nur auf den Fernseher und trinke einen Schluck Cola. »Sag nichts, sag nichts«, hallt es in meinem Kopf.
Mum ist cool, sie sagt tatsächlich nichts, sondern schaltet den DVD-Player ein. Hoffentlich denkt sie nicht, dass ihre alberne Affäre etwas ist, worüber ich Witze mache, weil ich mich an den Gedanken gewöhnt habe, dass die beiden zusammen sind. Denn das wird nie passieren. Nie im Leben.
Ich weiß, dass es ein supertoller Film sein soll. Aber es passiert nicht besonders viel. Ich merke, wie mir die Augen zufallen, obwohl ich heute fast den ganzen Tag gepennt habe. Und während George Clooney stumm über den Bildschirm wandert und ich dagegen ankämpfe, ins Traumland abzudriften, schleicht sich Andreas in meinen Kopf. Morgen muss ich nicht nur Gunnar in der Klasse wiedersehen, sondern auch Andreas, der an seinem Tisch sitzen und sich einen Spaß daraus machen wird, mir von fern zu drohen. Er denkt bestimmt, ich habe heute wegen ihm geschwänzt. Er und Sofus und die anderen haben garantiert über mich gelacht. Haben gelästert, dass ich mich nicht mal mehr in die Schule traue. Die Entschlossenheit von gestern Abend strömt durch meinen müden Körper. Ich muss was tun, ich werde mich rächen, ich mache sie fertig. Die Gewissheit erleichtert mich irgendwie, und ich gebe den Versuch auf, Clooneys außerirdische Probleme zu verfolgen. Das Traumland siegt.
Hans Petter musste gestern wegen starker Kopfschmerzen zu Hause bleiben.
June Hansen
»Schön, dass du dich so schnell erholt hast«, lächelt Gunnar und gibt mir die Entschuldigung zurück. Ich habe eine Heidenangst, dass er sagt, ich soll Mum von ihm grüßen oder so was in der Art. Bei dem Gedanken, dass er mit ihr zusammen ist, könnte ich ausrasten. Der soll sich nicht einfallen lassen, hier in der Klasse irgendwas anzudeuten, sonst weiß ich nicht, was ich tue. Wenn ich als sein Stiefsohn abgestempelt werde, kann ich gleich einpacken. Dann braucht keiner mehr irgendeinen Grund, um mich anzugreifen. Dann bin ich Freiwild.
Gunnar nickt und ich setze mich auf meinen Platz. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Andreas grinst. Aber das ist mir gerade echt egal. Ich habe beschlossen zu handeln, das macht mich ruhiger. Ich brauche den Tag, um nachzudenken. Ich will mir einen Plan überlegen.
Fest steht, dass es eine Art psychologische Kriegsführung werden muss. Ich muss herausfinden, wo die Schwachstelle von diesem Muskelprotz liegt. Er wirkt unverwundbar, aber jeder hat irgendwas zu
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