Der Talisman (German Edition)
hinweg, schließlich hatte er noch seinen Talisman – er würde ihm schon helfen, nach Granada zu kommen. Aber vorher musste der Junge von diesem hohen Berg herunter. Yasha runzelte die Stirn und sah sich um. Hier oben am Gipfel war kein Weg zu erkennen. Weiter unten entdeckte er einen vereisten Ziegenpfad und in der Ferne, am zerklüfteten Hang des Berges, lag ein kleines Dorf.
Der Weg würde furchtbar anstrengend werden, befürchtete Yasha und begann, sich leise fluchend durch den tiefen Schnee zu kämpfen. Erst als er den schmalen, vereisten Pfad erreichte, kam er besser voran. Als Yasha endlich die Schneegrenze hinter sich ließ, hüpfte er fröhlich den ausgetretenen Pfad zwischen Oleanderbäumchen und herrlich duftenden Kräutern zum Dorf hinunter. Schon von weitem hörte er an der fröhlichen Musik, dass man unten im Dorf ein Fest feierte.
Als Yasha die ersten Häuser erreichte, drehte er sich noch einmal um. Dort, ganz oben auf dem hohen Berg, hatte er gestanden. »Toll, Yasha, das hast du wirklich gut gemacht und es war gar nicht so schwer!«, lobte er sich selber und strahlte vor Stolz beim Blick zurück auf den Weg.
Gut gelaunt
erreichte Yasha den bunt
geschmückten Dorfplatz. Hier herrschte fröhliches Treiben. Die Menschen drängten sich um einen gebratenen Ochsen, der gerade in appetitliche Portionen zerlegt wurde. An der Sprache der Leute erkannte Yasha erfreut, dass er in Spanien angekommen war. Jetzt hieß es nur noch die Stadt Granada zu finden! Plötzlich entdeckte er in der Menge ein bekanntes Gesicht, das ihn erfreut anstrahlte. Ja! Es war Graf Gregorio, der wie immer den kleinen roten Samtkasten unter seinem Arm trug. Beglückt über ihr Wiedersehen fielen sich die beiden Freunde in die Arme. »Mein Freund! Yasha! Was machst du hier in El Albayzín?«
Auf den Berg zeigend erzählte Yasha kurz von seinen Erlebnissen und dass er hoffte, hier in Spanien, in der Stadt Granada, endlich seine Eltern zu finden. Graf Gregorio schüttelte belustigt den Kopf und lachte: »Weißt du noch, Yasha? Der Abend im Pilisgebirge, erinnerst du dich an die Geschichte von der Prinzessin und dem Bauernsohn? ›Suchst du jemanden, den du liebst, musst du auf den höchsten Berg klettern.‹ Das sagte ich dir, als du mir von deinen Eltern erzähltest. Aber die Sierra Nevada ist nicht der höchste Berg der Welt. Hahaha!«
Das wusste Yasha natürlich, aber ihm war viel wichtiger, zu erfahren, wie weit es noch bis Granada war. Darum ließ er sich auf keine Diskussion über die höchsten Berge der Welt ein, sondern fragte: »Wie weit ist es noch bis Granada?« Graf Gregorio setzte eine geheimnisvolle Miene auf und führte Yasha zum Rand des Dorfes. Dramatisch deutete Graf Gregorio auf eine elegante Stadt, die sich weit unter ihnen ins Tal erstreckte und deren Randbezirke sich bis in die Hänge der Sierra Nevada zogen. »Das ist Granada, mein Freund! Hier, von El Albayzín aus, hast du den schönsten Blick auf diese Stadt der Städte!«, schwärmte er begeistert.
Am meisten beeindruckte Yasha die große Befestigungsanlage aus rotem Stein. »Die Alhambra besteht aus der befestigten Oberstadt und der extra gesicherten Zitadelle, in der die Herrscher Granadas lebten!«, erzählte Graf Gregorio. »320 Sultane haben an dieser Burg gebaut. Spanien war nämlich vor 700 Jahren im Besitz der Mauren. Vor etwa 500 Jahren musste der letzte Sultan Granada verlassen und weinte bittere Tränen … Sein Name war Boabdil. Er hatte die Stadt an den spanischen König verloren. Südlich von Granada auf einem Bergrücken, von dem aus man einen allerletzten Blick auf die wunderschöne Stadt erhaschen kann, hat der unglückliche Boabdil noch einmal zurückgeblickt und seinen Verlust beklagt. ›Betrauere nicht wie ein Weib, was du zuvor nicht wie ein Mann hast verteidigen können!‹, wies ihn seine Mutter streng zurecht. Dieser Ort wird seitdem ›Der Seufzer des Mauren‹ genannt.«
Yasha
und Graf Gregorio
beschlossen, am nächsten Morgen gemeinsam nach Granada zu reiten. Graf Gregorio hatte dort einen Auftritt. Er und seine kleine Geige waren gebeten worden, Granada zu besingen. Die Sonne brannte glühend heiß vom Himmel, als die beiden Freunde das Eingangstor zur Alhambra erreichten. Sie stellten ihre Pferde in einem Stall an der Stadtmauer unter. Dann begannen Yasha, Graf Gregorio und die kleine Geige ihre Wanderung durch die schmalen Gassen der Altstadt. Die kleine Geige spielte dazu – mal froh, mal liebevoll, mal grausam, mal
Weitere Kostenlose Bücher