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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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von sich, rief »Dad?« und sah sich alles noch einmal an, um ganz sicherzugehen. Diesmal entdeckte er eine Grille, die dem schützenden Schatten der Wand entgegenhüpfte, und einen Augenblick hätte er fast glauben können, dass es wirklich Zauberei gab und dass irgendein böser Zauberer erschienen wäre und … Die Grille hatte die Wand erreicht und verschwand in einer unsichtbaren Spalte. Nein, sein Vater war nicht in eine Grille verwandelt worden. »He«, sagte der Junge – wie es schien, nur zu sich selbst. Er ging rückwärts auf die Seitentür zu und verließ die Garage. Sonnenschein fiel auf die üppigen, dichten Rasenflächen am Rodeo Drive. Er hätte gern jemanden angerufen, aber wen? Die Polizei? Mein Daddy ist in die Garage gegangen, und ich konnte ihn drinnen nicht finden, und nun habe ich Angst …
    Zwei Stunden später kam Phil Sawyer vom Beverly Wilshire-Ende der Straße heraufgewandert. Er trug das Jackett über der Schulter und hatte den Knoten seiner Krawatte gelockert – Jack kam er vor wie ein Mann, der von einer Reise um die Welt zurückkehrt.
    Jack sprang von der Anhöhe herab und stürmte seinem Vater entgegen. »Du hast es aber eilig«, sagte sein Vater lächelnd, und Jack schmiegte sich an seine Beine. »Ich dachte, du machst ein Schläfchen, Travelling Jack.«
    Sie hörten das Telefon läuten, als sie sich dem Haus näherten, und ein Instinkt – vielleicht der Instinkt, in der Nähe seines Vaters bleiben zu wollen – ließ Jack hoffen, dass es bereits ein Dutzend Mal geläutet hatte, dass der Anrufer auflegte, bevor sie die Vordertür erreicht hatten. Sein Vater fuhr ihm durchs Haar, legte ihm seine große, warme Hand ins Genick, dann riss er die Tür auf und war mit fünf langen Schritten am Telefon. »Ja, Morgan«, hörte Jack seinen Vater sagen. »Oh? Eine schlechte Nachricht? Ja, sag mir, was passiert ist.« Nach einem langen Augenblick des Schweigens, in dem er hören konnte, wie sich die blecherne, kratzende Stimme von Morgan Sloat durch die Telefondrähte schlich: »Oh, Jerry. Mein Gott. Der arme Jerry. Ich komme sofort.« Dann blickte sein Vater ihn an, ohne zu lächeln, ohne ihm zuzuzwinkern, er nahm nur seine Anwesenheit zur Kenntnis. »Ich komme gleich, Morgan. Ich muss Jack mitbringen, aber er kann im Wagen warten.« Jack spürte, wie sich seine Muskeln entkrampften, und er war so erleichtert, dass er nicht fragte, warum er im Wagen warten musste, was er zu jeder anderen Zeit getan hätte.
    Phil fuhr auf dem Rodeo Drive bis zum Beverly Hills Hotel, bog links in den Sunset Boulevard ab und lenkte den Wagen zum Bürogebäude. Er sagte nichts.
    Auf dem Parkplatz neben dem Bürogebäude standen bereits zwei Streifenwagen und ein Wagen von der Feuerwehr, Onkel Morgans weißes Mercedes-Kabriolett und der verrostete alte zweitürige Plymouth, der dem Hausmeister gehört hatte. Gleich hinter der Eingangstür sprach Onkel Morgan mit einem Polizisten, der ganz langsam und in offensichtlichem Mitgefühl den Kopf schüttelte. Morgans rechter Arm hielt die Schultern einer schlanken jungen Frau umfasst, die ihr Gesicht in seiner Brust vergraben hatte. Mrs. Jerry, das wusste Jack, und er sah, dass der größte Teil ihres Gesichts von einem weißen Taschentuch verdeckt wurde, das sie auf die Augen drückte. Ein Feuerwehrmann mit Helm und Regenmantel fegte weiter hinten in der Halle ein Chaos von verkrümmtem Metall und Kunststoff, Asche und Glasscherben zu einem Haufen zusammen. Phil sagte: »Bleib ein paar Minuten hier sitzen, Jack, okay?« und lief zum Eingang hinüber. Eine junge Chinesin saß auf einem Betonsockel am Rande des Parkplatzes und sprach mit einem Polizisten. Vor ihr lag ein verkrümmter Gegenstand, den Jack erst nach genauerem Hinsehen als Fahrrad erkannte. Als Jack Luft holte, roch er bitteren Rauch.
    Zwanzig Minuten später kamen sein Vater und Onkel Morgan aus dem Gebäude heraus. Onkel Morgan, der immer noch Mrs. Jerry umfasst hielt, winkte den Sawyers zum Abschied zu. Er führte die Frau zur Beifahrertür seines Wagens. Sein Vater stieg in seinen eigenen Wagen und fädelte sich in den Verkehr auf dem Sunset Boulevard ein.
    »Ist Jerry verletzt?« fragte Jack.
    »Ein seltsamer Unfall«, sagte sein Vater. »Elektrizität – das ganze Gebäude hätte in Rauch aufgehen können.«
    »Ist Jerry verletzt?« wiederholte Jack seine Frage.
    »Der arme Kerl ist so schwer verletzt, dass er tot ist«, sagte sein Vater.
    Jack und Richard Sloat brauchten zwei Monate, um sich die

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