Der Talisman
monatliche Gebühr können Sie fünfzehn neue Kanäle empfangen – stellen Sie sich das vor! –, Sie können Midnight Blue sehen, Sie bekommen die Sender, die ausschließlich über Sport und Wetter berichten, Sie können …«
Und genau das war es, begriff er plötzlich. Vor diesen Häusern standen keine Masten. Keine elektrischen Leitungen! Keine Fernsehantennen ragten in den Himmel, keine hohen Holzmasten reihten sich an der Weststraße: in der Region gab es keinen elektrischen Strom. Und genau deshalb hatte er sich nicht gestattet, das fehlende Element zu identifizieren. Jerry Bledsoe war, zumindest während eines Teils seiner Zeit, der Elektriker und Hausmeister von Sawyer & Sloat gewesen.
5
Als sein Vater und Morgan Sloat diesen Namen, Bledsoe, erwähnten, war ihm, als hätte er ihn noch nie gehört – aber da er sich an ihn erinnerte, musste er den Nachnamen des Hausmeisters zumindest ein- oder zweimal gehört haben. Aber Jerry Bledsoe war fast immer einfach Jerry gewesen, wie es auf der Tasche seines Arbeitshemdes geschrieben stand. »Jerry sollte sich die Klimaanlage einmal ansehen.« – »Würdest du Jerry bitten, die Scharniere an dieser Tür zu ölen?« Und Jerry würde erscheinen, in frischgewaschener Arbeitskleidung, das gelichtete rostrote Haar flach zurückgekämmt; er würde ernst durch seine runde Brille blicken und gelassen in Ordnung bringen, was in Ordnung gebracht werden musste. Es gab eine Mrs. Jerry, die dafür sorgte, dass die gelblichbraune Arbeitshose immer sauber und gebügelt war, und mehrere kleine Jerrys, an die bei Sawyer & Sloat unfehlbar zu Weihnachten gedacht wurde. Jack war noch klein genug, um den Namen Jerry mit dem ewigen Widersacher des Katers Tom in Verbindung zu bringen, und so stellte er sich vor, dass der Hausmeister und Mrs. Jerry und die kleinen Jerrys in einem riesigen Mauseloch lebten, dessen Eingang aus einem halbrunden Ausschnitt in einer Scheuerleiste bestand.
Aber wer hatte Jerry Bledsoe getötet? Sein Vater und Morgan Sloat, die um die Weihnachtszeit immer so nett zu den Bledsoe-Kindern waren?
Jack bewegte sich in der Dunkelheit der Weststraße voran und wünschte sich, alles vergessen zu haben, was mit dem Hausmeister von Sawyer & Sloat zusammenhing; er wünschte, er wäre eingeschlafen, sobald er hinter die Couch gekrochen war. Schlaf war das, was er jetzt brauchte – viel dringender als die unbehaglichen Erinnerungen, die die sechs Jahre zurückliegende Unterhaltung heraufbeschworen hatte. Er beschloss, einen Schlafplatz ausfindig zu machen, sobald er sicher war, das letzte Haus etliche Kilometer hinter sich gelassen zu haben. Er würde mit einem Feld zufrieden sein, sogar mit einem Graben. Seine Beine wollten sich nicht mehr bewegen; all seine Muskeln, sogar seine Knochen schienen ihr Gewicht verdoppelt zu haben.
Es war geschehen, nachdem Jack – wie schon öfters – seinem Vater in irgendeinen geschlossenen Raum gefolgt war und dann feststellen musste, dass Phil Sawyer verschwunden war. Später verschwand sein Vater aus seinem Schlafzimmer, aus dem Esszimmer, aus dem Konferenzraum von Sawyer & Sloat. In diesem Fall hatte er für seinen unerklärlichen Trick die Garage neben dem Haus am Rodeo Drive gewählt.
Jack, der unbemerkt auf der kleinen Anhöhe saß – der höchsten Erhebung, die dieses Viertel von Beverly Hills zu bieten hatte, sah, wie sein Vater das Haus verließ, den Rasen überquerte, dabei in seiner Tasche nach Geld oder Schlüsseln suchte und dann durch die Seitentür die Garage betrat. Sekunden später hätte die weiße Tür an der rechten Garagenwand aufschwingen müssen, aber sie blieb beharrlich geschlossen. Dann wurde Jack klar, dass der Wagen seines Vaters noch dort stand, wo er den ganzen Vormittag gestanden hatte – am Bordstein unmittelbar vor dem Haus. Lilys Wagen war fort – sie hatte sich eine Zigarette angezündet und erklärt, sie ginge zu einer Vorführung von Dirt Track, dem neuesten Film des Regisseurs von Death’s Darling, und wehe dem, der sie daran zu hindern versuchte; es stand also kein Wagen in der Garage. Minutenlang wartete Jack darauf, dass sich etwas tat, aber weder die Seitentür noch die große Vordertür öffneten sich. Schließlich rutschte Jack die grasbewachsene Anhöhe hinunter, ging zu der Garage und trat ein. Der große, vertraute Raum war leer. Auf dem grauen Betonboden zeichneten sich dunkle Ölflecke ab. Werkzeug hing an silbrigen Haken an den Wänden. Jack gab ein erstauntes Grunzen
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