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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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einen Augenblick später erkannte er, dass seine Hände und Finger vollständig mit einem dichten Pelz aus groben, dunklen Haaren überzogen waren. Wolf starrte ihn weiterhin mit seinen funkelnden Augen an. Jack halbierte den Abstand zwischen ihnen, dann blieb er stehen. Seit er Wolf kennen gelernt hatte, als dieser an einem Fluss der Region seine Herde hütete, war er zum ersten Mal nicht imstande, seinen Ausdruck zu deuten. Vielleicht war Wolf dafür schon zu anders geworden, vielleicht verbarg auch nur das Haar zu viel von seinem Gesicht. Er spürte nur, dass irgendein starkes Gefühl von Wolf Besitz ergriffen hatte.
    Drei Meter entfernt blieb er endgültig stehen und zwang sich, dem Werwolf in die Augen zu sehen.
    »Es ist bald so weit, Jacky«, sagte Wolf, und sein Mund öffnete sich zur beängstigenden Parodie eines Lächelns.
    »Ich dachte, du wärst davongelaufen«, sagte Jack.
    »Ich habe hier gesessen, um dich kommen zu sehen. Wolf!«
    Jack wusste nicht, was er mit dieser Erklärung anfangen sollte. Irgendwie erinnerte sie ihn dunkel an Rotkäppchen. Wolfs Zähne sahen unwahrscheinlich dicht, scharf und kraftvoll aus. »Ich habe das Schloss«, sagte er. Er zog es aus der Tasche und hielt es hoch. »Ist dir etwas eingefallen, während ich fort war, Wolf?«
    Wolfs ganzes Gesicht – Augen, Zähne, alles – funkelte Jack an.
    »Du bist jetzt die Herde, Jacky«, sagte Wolf. Und dann legte er den Kopf zurück und stieß ein langes, durchdringendes Geheul aus.
     
    8
     
    Ein weniger verängstigter Jack Sawyer hätte vielleicht gesagt: »Lass den Blödsinn, ja?« oder »Wenn du nicht damit aufhörst, haben wir bald alle Hunde der Umgebung hier«, aber Bemerkungen dieser Art erstarben ihm in der Kehle. Er war zu verängstigt, um ein Wort herauszubringen. Wolf bedachte ihn mit seinem Lächeln erster Güte, aber sein Mund sah aus wie eine Fernsehwerbung für Fleischmesser. Die John Lennon-Brille schien in dem borstigen Bart und dem dichten Haar, das ihm über die Schläfen hing, fast völlig zu verschwinden. Jack kam es vor, als wäre er jetzt gut zwei Meter groß und so massig wie die Bierfässer im Lagerraum des Oatley Tap.
    »Es gibt gute Gerüche in dieser Welt, Jacky«, sagte Wolf.
    Nun erkannte Jack, in was für einer Stimmung sich Wolf befand. Es war Frohlocken. Er glich einem Mann, der gerade allen Widrigkeiten zum Trotz aus einem besonders schwierigen Kampf als Sieger hervorgegangen ist. Und auf dem Grunde dieses Triumphgefühls regten sich die Freude und die Unbezähmbarkeit, die Jack schon einmal gespürt hatte.
    »Gute Gerüche! Wolf! Wolf!«
    Jack tat einen behutsamen Schritt zurück und hoffte, dass der Wind Wolf nicht seinen Geruch zutrug. »Bisher hast du noch nie etwas Gutes an ihr gefunden«, sagte er, um überhaupt etwas zu sagen.
    »Bisher war bisher, und jetzt ist jetzt«, sagte Wolf. »Gute Dinge. Viele gute Dinge – überall um uns herum. Wolf wird sie finden, ganz bestimmt.«
    Das machte es noch schlimmer, denn jetzt konnte Jack in den rötlich funkelnden Augen eine unverhüllte Gier, einen völlig amoralischen Hunger sehen und fast fühlen. Ich fresse alles, was ich fangen und töten kann, besagten sie. Fangen und töten.
    »Ich hoffe, Menschen gehören nicht zu diesen guten Dingen, Wolf«, sagte Jack ruhig.
    Wolf hob das Kinn und stieß eine Reihe von gluckernden Lauten aus, die halb Heulen und halb Lachen waren.
    »Wölfe müssen essen«, sagte er, und auch seine Stimme war voller Freude. »Oh, Jacky, wie wir Wölfe essen müssen! ESSEN! Wolf!«
    »Ich muss dich in dem Schuppen einsperren«, sagte Jack. »Weißt du das nicht mehr, Wolf? Ich habe das Schloss. Hoffen wir, dass es dich drinnen hält. Komm, lass uns gleich hinübergehen. Du jagst mir eine Heidenangst ein.«
    Diesmal stieg das gluckernde Lachen aus Wolfs Brustkorb empor. »Angst! Wolf weiß! Wolf weiß, Jacky! Du hast den Angstgeruch.«
    »Das wundert mich gar nicht«, sagte Jack. »Lass uns jetzt zum Schuppen zurückkehren, okay?«
    »Ich gehe aber nicht in den Schuppen«, sagte Wolf, und eine lange, spitz zulaufende Zunge erschien zwischen seinen Kiefern. »Nein, ich nicht. Nicht Wolf. Wolf kann nicht in den Schuppen gehen.« Die Kiefer öffneten sich weiter, und die dichtstehenden Zähne kamen zum Vorschein. »Wolf hat sich erinnert, Jacky. Wolf! Gleich hier und jetzt. Wolf hat sich erinnert!«
    Jack wich zurück.
    »Noch mehr Angstgeruch. Sogar auf deinen Schuhen. Auf deinen Schuhen, Jacky! Wolf!«
    Schuhe, die nach Angst

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