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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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sollte. An einem Ärmel hing noch das Preisschild. Sloat hatte ihn aus New York geschickt, aber Richard hatte ihn noch nie getragen. Wie das Hemd, war auch der Blazer für Jack eine Nummer zu klein und spannte über den Schultern; sonst war er füllig geschnitten und die Ärmel waren so lang, dass die weißen Manschetten des Hemdes einen Zentimeter weit herausragten.
    Jack nahm eine Krawatte vom Haken an der Schranktür – rot mit einem Muster von blauen Ankern. Er legte sich die Krawatte um den Hals und knotete sie sorgsam. Dann musterte er sich im Spiegel und lachte laut heraus. Er betrachtete den eleganten neuen Blazer, die Klubkrawatte, das schneeweiße Hemd, seine ausgebeulten Jeans. Er hatte es geschafft. Er sah aus wie ein Schüler eines teuren Internats.
     
    2
     
    Richard war, wie Jack feststellte, ein Bewunderer von John McPhee und Lewis Thomas und Stephen Jay Gould geworden. Er wählte aus den Büchern in Richards Regal Die Meduse und die Schnecke aus, weil ihm der Titel gefiel, und kehrte zum Bett zurück.
    Eine unvorstellbar lange Zeit verging, ohne dass Richard von seinem Basketballtraining zurückkehrte. Jack wanderte in dem kleinen Zimmer hin und her. Er konnte sich nicht vorstellen, weshalb Richard nicht in sein Zimmer zurückkam, aber seine Phantasie zeigte ihm ein Unheil nach dem anderen.
    Nachdem Jack zum fünften oder sechsten Mal auf die Uhr geschaut hatte, fiel ihm auf, dass er keine Schüler auf dem Gelände sah.
    Was immer mit Richard passiert sein mochte, war der ganzen Schule passiert.
    Der Nachmittag starb. Auch Richard, dachte er, war tot. Vielleicht war die ganze Thayer School tot – und er selbst war von der Pest verseucht, trug den Tod mit sich herum. Er hatte außer den Hähnchenkeulen, die Richard ihm aus dem Speisesaal mitgebracht hatte, den ganzen Tag nichts gegessen, aber er war nicht hungrig. Er saß da und fühlte sich sterbenselend. Er bewirkte Unheil, wo immer er hinkam.
     
    3
     
    Dann waren auf dem Flur wieder Schritte zu hören.
    Aus dem Obergeschoß hörte Jack das dumpfe Dröhnen von Bässen, dann erkannte er, dass es sich wieder um eine Platte von Blue Oyster Cult handelte. Die Schritte hielten vor der Tür an. Jack eilte zur Tür.
    Richard stand auf der Schwelle. Zwei Jungen mit weizenblondem Haar und Krawatten auf Halbmast warfen einen Blick herein und gingen dann weiter den Flur entlang. Auf dem Flur war die Rockmusik viel deutlicher zu hören.
    »Wo hast du nur den ganzen Nachmittag gesteckt?« fragte Jack.
    »Ach, irgendetwas war komisch«, sagte Richard. »Der ganze Nachmittagsunterricht fiel aus. Aber Mr. Dufrey wollte nicht, dass wir in unsere Zimmer zurückkehrten. Stattdessen mussten wir alle zum Basketballtraining, und das war noch komischer.«
    »Wer ist Mr. Dufrey?«
    Richard sah ihn an, als wäre er gerade aus der Wiege gefallen. »Wer Mr. Dufrey ist? Er ist der Direktor. Weißt du denn überhaupt nichts über diese Schule?«
    »Nein, aber ich bekomme allmählich eine Vorstellung«, sagte Jack. »Was war so komisch an eurem Training?«
    »Erinnerst du dich, dass ich sagte, dass Trainer Frazer sich heute von einem Freund vertreten lassen wollte? Und weil er sagte, wir bekämen alle Strafrunden aufgebrummt, wenn wir schwänzten, nahm ich an, sein Freund wäre ein wirklich großes Tier. Thayer School hat im Sport nie eine überragende Rolle gespielt. Aber irgendwie hatte ich erwartet, der Neue wäre jemand ganz Besonderes.«
    »Lass mich raten. Der Neue sah nicht so aus, als hätte er irgendetwas mit Sport zu tun.«
    Richard hob verblüfft das Kinn. »Nein«, sagte er. »So sah er nicht aus.« Er warf Jack einen nachdenklichen Blick zu. »Er rauchte die ganze Zeit. Sein Haar war lang und regelrecht fettig – er sah nicht im Mindesten aus wie ein Trainer. Um die Wahrheit zu sagen – er sah aus wie jemand, dem die meisten Trainer am liebsten einen Tritt in den Hintern verpassen würden. Sogar seine Augen sahen komisch aus. Ich wette, er rauchte Pot.« Richard zupfte an seinem Pullover. »Ich glaube, er hatte keine Ahnung von Basketball. Er ließ uns nicht einmal unsere Läufe proben – das tun wir gewöhnlich nach dem Aufwärmen. Wir rannten ein bisschen herum, machten Zielübungen am Korb, und er rief uns etwas zu. Und dabei lachte er, als wären Jungen, die Basketball spielten, das Lustigste, das er je in seinem Leben gesehen hatte. Ist dir schon einmal ein Trainer begegnet, der Sport lustig fand? Sogar das Aufwärmen war komisch. Er sagte nur, ›Okay,

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