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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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scharf.
    »Es ist aber so.« Jack wies mit einer Handbewegung den Flur entlang. »Wir sind die einzigen, die übrig geblieben sind. Und du kannst an die dreißig Jungen nicht völlig lautlos aus einem Haus herausholen. Sie sind nicht einfach gegangen; sie sind verschwunden.«
    »In die Region, nehme ich an.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Jack. »Vielleicht sind sie noch hier, aber auf einer anderen Ebene. Vielleicht sind sie hier. Vielleicht sind sie in Cleveland. Aber wo wir sind, sind sie nicht.«
    »Mach die Tür zu«, sagte Richard unvermittelt, und als Jack nicht schnell genug reagierte, schloss Richard sie selbst.
    »Willst du den Joint …«
    »Ich will ihn nicht einmal anrühren«, sagte Richard. »Ich sollte sie melden. Ich sollte sie beide Mr. Hayward melden.«
    »Würdest du das tun?« fragte Jack fasziniert.
    Richard blickte verdrossen drein. »Nein – wahrscheinlich nicht«, sagte er. »Aber es gefällt mir nicht.«
    »Es ist nicht in Ordnung«, sagte Jack.
    »Genau das.« Richards Augen blitzten hinter seinen Brillengläsern auf; sie besagten, dass Jack den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, und dass er sich damit abfinden musste, ob es ihm passte oder nicht. Er trat wieder auf den Flur hinaus. »Ich will wissen, was hier vorgeht«, sagte er, »und glaub mir, ich werde es herausfinden.«
    Das könnte deiner Gesundheit wesentlich abträglicher sein als Marihuana, Richieboy , dachte Jack und folgte seinem Freund.
     
    2
     
    Sie standen im Gemeinschaftsraum und schauten hinaus. Richard deutete auf den rechteckigen Innenhof. Im letzten Tageslicht sah Jack eine Gruppe von Jungen, die sich um die grünliche Bronzestatue von Eider Thayer geschart hatten.
    »Sie rauchen!« rief Richard empört. »Auf dem Hof rauchen sie!«
    Jack dachte sofort an den Potgeruch auf Richards Flur.
    »Ja, sie rauchen«, sagte er zu Richard, »aber nicht die Sorte Zigaretten, die man aus dem Automaten holt.«
    Richard klopfte wütend an die Scheibe. Er hatte, das erkannte Jack, den gespenstisch verlassenen Schlaftrakt vergessen; hatte den kettenrauchenden Ersatztrainer vergessen; hatte Jacks vermeintliche Geistesgestörtheit vergessen. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck empörter Rechtschaffenheit, der besagte: Wenn ein Haufen Jungen so herumsteht und direkt unter der Statue des Gründers dieser Schule Joints raucht, dann ist das ungefähr so, als wollte mir jemand einreden, die Erde wäre eine Scheibe oder Primzahlen wären gelegentlich durch zwei teilbar oder sonst etwas nicht minder Absurdes.
    Jacks Herz war voll von Mitleid für seinen Freund, aber es war auch voll von Bewunderung für eine Einstellung, die seinen Schulkameraden so reaktionär und sogar exzentrisch vorkommen musste. Wieder fragte er sich, ob Richard die Schocks ertragen konnte, die ihm vielleicht bevorstanden.
    »Richard«, sagte er, »diese Jungen gehören doch nicht zu Thayer, oder?«
    »Gott, du hast wirklich den Verstand verloren, Jack. Es sind Senioren. Der Bursche mit der verrückten ledernen Fliegermütze ist Norrington. Der mit der grünen Trainingshose ist Buckley. Ich sehe Garson – Littlefield – und der mit dem Schal ist Etheridge«, schloss er.
    »Bist du sicher, dass es Etheridge ist?«
    »Natürlich ist er es!« brüllte Richard. Plötzlich löste er die Verriegelung des Fensters, schob es hoch und beugte sich hinaus in die kalte Luft.
    Jack zog Richard zurück. »Richard, bitte, hör zu …«
    Richard wollte nicht. Er drehte sich um und beugte sich wieder hinaus in das kalte Zwielicht.
    »He!«
    Nein, mach sie nicht auf uns aufmerksam, Richard, um Gottes willen …
    »He, Leute! Etheridge! Norrington! Littlefield! Was zum Teufel geht da draußen vor?«
    Die Unterhaltung und das rohe Gelächter brachen ab. Der Bursche, der Etheridges Schal trug, drehte sich in die Richtung, aus der Richards Stimme kam. Dabei legte er den Kopf ein wenig schief, um zu ihnen heraufzusehen. Das Licht aus der Bibliothek und der trübe Widerschein des winterlichen Sonnenuntergangs fielen auf sein Gesicht. Richards Hände flogen vor seinen Mund.
    Die rechte Hälfte des Gesichts hatte tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von Etheridge – einem älteren Etheridge, der eine Menge Orte aufgesucht hatte, die brave Internatsschüler nicht aufsuchen, und eine Menge Dinge getan hatte, die brave Internatsschüler nicht tun. Die andere Hälfte war eine zerklüftete Masse von Narben. Ein glitzernder Bogen, der einmal ein Auge gewesen sein mochte, blinzelte aus

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