Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
Vom Netzwerk:
zurückgekehrt war. »Willst du wissen, was ich vorhabe? Soll ich dir erzählen, warum ich durchs ganze Land trampe?«
    »Wenn du es nicht tust, schreie ich«, sagte Richard.
    »Ja«, sagte Jack, »ich versuche, meiner Mutter das Leben zu retten.« Als er diesen Satz aussprach, schien er ihn mit wundersamer Klarheit zu erfüllen.
    »Wie zum Teufel willst du das anstellen?« fuhr Richard auf. »Deine Mutter hat vermutlich Krebs. Wie mein Vater euch klarzumachen versucht hat, braucht sie Ärzte und Wissenschaft – und du gehst auf Wanderschaft? Womit willst du deine Mutter retten? Mit Magie?«
    Jacks Augen begannen zu brennen. »Du hast’s erfasst, Richard.« Er hob einen Arm und drückte seine feuchten Augen in den Stoff in der Ellenbeuge.
    »Komm schon, beruhige dich …« sagte Richard und zupfte nervös an seinem Pullover. »Nicht weinen, Jack, bitte, ich weiß, es ist furchtbar, ich wollte ja nicht – es war ja nur …« Richard hatte sofort und lautlos das Zimmer durchquert und klopfte Jack verlegen auf Arm und Schulter.
    »Ich bin okay«, sagte Jack. Er senkte den Arm. »Es ist kein verrücktes Hirngespinst, Richard, wenn es dir auch so vorkommt.« Er richtete sich auf. »Mein Vater nannte mich Travelling Jack, und das gleiche tat ein alter Mann in Arcadia Beach.« Jack hoffte, dass Richards Mitgefühl tatsächlich innere Türen öffnete; als er Richards Gesicht betrachtete, sah er, dass es so war. Sein Freund wirkte besorgt, teilnahmsvoll, unerschütterlich.
    Und Jack fing an, seine Geschichte zu erzählen.
     
    5
     
    Um die beiden Jungen herum nahm das Leben in Nelson House seinen Fortgang, wie in allen Internaten ruhig und lärmend zugleich, akzentuiert durch Rufe, Getöse und Gelächter. Schritte passierten die Tür, hielten aber nicht an. Aus dem Zimmer über ihnen kam ein regelmäßiges Stampfen und gelegentliche Melodiefetzen, an denen Jack schließlich eine Platte von Blue Oyster Cult erkannte. Er begann damit, Richard von den Tagträumen zu erzählen. Von den Tagträumen ging er zu Speedy Parker über. Er beschrieb die Stimme, die aus dem wirbelnden Sandtrichter zu ihm gesprochen hatte. Und dann erzählte er Richard, wie er Speedys »Zaubersaft« getrunken hatte und das erste Mal in die Region geflippt war.
    »Aber ich glaube, es war nur billiger Wein, Pennerwein«, sagte Jack. »Später, als er alle war, stellte sich heraus, dass ich ihn gar nicht brauchte. Ich konnte aus eigener Kraft flippen.«
    »Okay«, sagte Richard unverbindlich.
    Er versuchte, Richard einen anschaulichen Eindruck von der Region zu vermitteln: der Karrenweg, der Anblick des Sommerpalastes, ihre Zeitlosigkeit und Besonderheit. Hauptmann Farren; die sterbende Königin, die ihn auf das Thema der Twinner brachte; Osmond. Die Szene im Dorf All-Hands; die Grenzlandstraße, die gleichzeitig die Weststraße war. Er zeigte Richard seine kleine Kollektion magischer Gegenstände, das Gitarren-Plektron, die Murmel und die Münze. Richard drehte sie lediglich in den Fingern und gab sie dann kommentarlos zurück. Dann durchlebte Jack noch einmal die furchtbare Zeit im Oatley Tap. Richard hörte sich Jacks Bericht über Oatley schweigend, aber mit weit aufgerissenen Augen an.
    Als er von der Szene am Rastplatz von Lewisburg an der Interstate 70 im Westen von Ohio erzählte, vermied er sorgfältig jede Erwähnung von Morgan Sloat und Morgan von Orris.
    Dann musste Jack Wolf so beschreiben, wie er ihm zum ersten Mal begegnet war, ein Riese in einem Oshkosh-Latzoverall, und er spürte, wie sich seine Augen wieder mit Tränen füllten. Er berichtete, wie er versucht hatte, Wolf in Autos hineinzubekommen, und gestand seine Ungeduld mit seinem Gefährten; er kämpfte gegen die Tränen an, eine Weile erfolgreich; er schaffte es, die Geschichte von Wolfs Verwandlung ohne Tränen oder einen Klumpen im Hals zu erzählen. Dann hatte er wieder Probleme. Seine Wut erlaubte ihm, frei zu reden, bis er zu Ferd Janklow kam; da begannen seine Augen wieder zu brennen.
    Richard schwieg lange. Dann stand er auf und holte ein sauberes Taschentuch aus einer Kommodenschublade. Jack putzte sich geräuschvoll die Nase.
    »Das war’s«, sagte Jack. »Jedenfalls das meiste von dem, was passiert ist.«
    »Was hast du gelesen? Was für Filme hast du gesehen?«
    »Scheißkerl«, sagte Jack. Er stand auf und durchquerte das Zimmer, um seinen Rucksack zu holen, aber Richard streckte schnell den Arm aus und legte seine Finger um Jacks Handgelenk. »Ich glaube nicht, dass

Weitere Kostenlose Bücher