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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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ist. Wahrscheinlich wird ER ihn töten oder um den Verstand bringen oder ihn hundert Welten weit fortjagen. Aber es kann sein, dass er wieder herauskommt. Gard. Ja, es kann sein.«
    »Er ist der schlechteste, der allerschlechteste Bastard, der je gelebt hat«, flüsterte Gardener. Seine Hände umklammerten die Flasche – fester – immer fester –, bis seine Finger Dellen in die Stahlhülle drückten.
    »Sie sagen, der alte Nigger ist unten am Strand?«
    »Ja.«
    »Parker«, sagte Morgan, und im gleichen Augenblick sagte Osmond: »Parkus.«
    »Tot?« fragte Morgan ohne sonderliches Interesse.
    »Ich weiß es nicht. Ich nehme es an. Soll ich meine Leute hinunterschicken, um ihn zu holen?«
    »Nein!« sagte Morgan scharf. »Nein – aber wir werden dahin gehen, wo er ist, nicht wahr, Gard?«
    »Werden wir das?«
    Morgan grinste.
    »Ja, das werden wir. Sie – ich – wir alle. Denn wenn Jack Sawyer aus dem Hotel herauskommt, wird er da zuerst hingehen. Er wird doch seinen alten Kumpel nicht am Strand liegen lassen, oder?«
    Jetzt begann auch Gardener zu grinsen. »Nein«, sagte er. »Nein.«
    Erst jetzt spürte Morgan den dumpfen, pochenden Schmerz in seinen Händen. Er öffnete sie und betrachtete gedankenverloren das Blut, das aus den tiefen, halbkreisförmigen Wunden in seinen Handflächen quoll. Sein Grinsen verging nicht, sondern wurde sogar noch breiter.
    Gardener starrte ihn ehrfürchtig an. Ein gewaltiges Gefühl seiner Macht erfüllte Morgan. Er griff an seinen Hals und schloss eine blutige Hand um den Schlüssel, der Blitze schleuderte.
    »Es hülfe ihm, die Welt zu gewinnen«, flüsterte er. »Bekomme ich ein Halleluja?«
    Seine Lippen zogen sich noch weiter zurück. Es war das Grinsen eines Wolfes, eines bösartigen Einzelgängers – eines Wolfes, der zwar alt ist, aber noch immer gerissen und hartnäckig und voller Kraft.
    »Kommen Sie, Gard«, sagte er. »Gehen wir zum Strand.«

 
Einundvierzigstes Kapitel
     
    Das schwarze Hotel
     
    1
     
    Richard Sloat war nicht tot; doch als Jack seinen Freund aufhob, war er bewusstlos.
    Wer ist jetzt die Herde? hörte er Wolf fragen.
    KOMM ZU MIR! KOMM GLEICH! sang der Talisman mit seiner machtvollen, tonlosen Stimme. KOMM ZU MIR, BRING DIE HERDE MIT, UND ALLES WIRD GUT, ALLES WIRD GUT, UND …
    »… und alles und jedes wird gut«, flüsterte Jack.
    Er tat einen Schritt vorwärts und wäre fast in die Öffnung der Falltür getreten – wie ein Kind, das höchst realistisch Doppelhinrichtung durch Erhängen spielt. Baumel mit einem Freund, schoss es Jack durch den Kopf. Das Herz hämmerte ihm in den Ohren, und einen Augenblick war ihm, als müsse er sich in das grau gegen die Pfähle schwappende Wasser erbrechen. Dann fing er sich wieder und schloss die Falltür mit dem Fuß. Jetzt gab es nur noch das Geräusch der Wetterfahnen – kabbalistische Messingfiguren, die rastlos in der Luft wirbelten.
    Jack wendete sich dem Agincourt zu.
    Er sah, dass er auf einer breiten Plattform stand, einer Art erhöhter Terrasse. In den Zwanzigern und Dreißigern hatten hier zur Cocktailstunde Leute unter Sonnenschirmen gesessen, Gin Rickeys und Sidecars getrunken, vielleicht den neuesten Roman von Edgar Wallace oder Ellery Queen gelesen, vielleicht auch nur dahin geblickt, wo die Insel Los Cavernes gerade noch auszumachen war – ein blaugrauer Walrücken, der am Horizont vor sich hinträumte. Die Männer in Weiß, die Frauen in Pastell.
    Vielleicht, früher einmal.
    Jetzt waren die Bretter verzogen und gerissen und zersplittert. Jack wusste nicht, in welcher Farbe die Plattform früher gestrichen gewesen war; jetzt war sie schwarz wie das ganze Hotel – von der gleichen Farbe vermutlich wie die bösartigen Tumoren in den Lungen seiner Mutter.
    Drei Meter vor ihm waren Speedys »Fenstertüren«, durch die in dieser fernen Vergangenheit die Gäste aus- und eingegangen sein mochten. Jetzt waren sie mit weißer Tünche überstrichen und sahen aus wie blinde Augen.
    Auf einer von ihnen stand:
     
    DEINE LETZTE CHANCE ZUR UMKEHR
     
    Das Geräusch der Wellen. Das Geräusch des auf dem verwinkelten Dach herumwirbelnden Metallzeugs. Der Geruch nach Meersalz und verschütteten Drinks – Drinks, vor langer Zeit verschüttet von eleganten Damen und Herren, die jetzt tot und längst begraben waren. Der Geruch des Hotels selbst. Er blickte wieder auf das übertünchte Glas und entdeckte ohne echte Überraschung, dass sich die Botschaft bereits verändert hatte:
     
    SIE IST SCHON TOT

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