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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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und die Quelle, der es entströmte; er war weit gereist, um es zu sehen, und durch viel bittere Dunkelheit.
    Die Türflügel waren schwer und mit zierlichem Schnitzwerk verziert. Darüber standen in Goldschrift, die ein wenig abgeblättert, aber noch vollständig lesbar war, die Worte BALLSAAL DER REGION.
    »He, Mom«, sagte Jack Sawyer mit leiser, staunender Stimme, als er auf diese Helle zutrat. Glück erfüllte sein Herz – was er empfand, war Regenbogen, Regenbogen, Regenbogen. »He, Mom, ich glaube, ich bin angekommen, ich bin endlich angekommen.«
    Dann ergriff er sanft und ehrfürchtig mit jeder Hand eine der Klinken und drückte sie nieder. Er öffnete die Tür, und ein Balken aus klarem weißem Licht fiel auf sein erhobenes, staunendes Gesicht.
     
    7
     
    Im gleichen Augenblick, in dem Jack dem letzten der fünf Wächterritter außer Gefecht setzte, blickte Sunlight Gardener zufällig zum schwarzen Hotel hinüber. Er hörte ein dumpfes Dröhnen, als wäre irgendwo in dem Gebäude eine kleine Menge Dynamit explodiert. Im gleichen Augenblick flammte in allen Fenstern im ersten Stock des Agincourt helles Licht auf, und alle Messingsymbole auf dem Dach – Monde, Sterne, Planeten, seltsam gebogene Pfeile – kamen gleichzeitig zum Stillstand. Gardener war ausstaffiert, als gehörte er zu einem Einsatzkommando der Polizei von Los Angeles. Über seinem weißen Hemd trug er eine schwarze Flakweste, ein Funksprechgerät hing an einem Segeltuchriemen über einer Schulter. Die kurze, dicke Antenne schaukelte hin und her, wenn er sich bewegte. Über der anderen Schulter hing eine Weatherbee ‚360, ein Jagdgewehr von der Größe eines Flakgeschützes, das selbst Robert Ruark vor Neid hätte erblassen lassen. Gardener hatte es sechs Jahre zuvor gekauft, als die Umstände verlangten, dass er sich seines alten Jagdgewehrs entledigte. Die Hülle der Weatherbee aus echtem Zebrafell lag im Kofferraum eines schwarzen Cadillac, neben dem Leichnam seines Sohnes.
    »Morgan!«
    Morgan drehte sich nicht um. Er stand hinter einer Gruppe von Steinen, die aus dem Sand herausragten wie schwarze Reißzähne. Sechs Meter von ihm entfernt und nur einen Meter oberhalb der Hochwassermarke lag Speedy Parkeralias Parkus. Als Parkus hatte er Morgan von Orris einst brandmarken lassen – an den Innenseiten der weißen Schenkel jenes Morgan zogen sich rote Narben entlang, die Zeichen, an denen man in der Region einen Verräter erkennt. Nur der Fürsprache von Königin Laura hatte er es zu verdanken, dass diese Narben nicht über seine Wangen liefen; an der Innenseite seiner Schenkel waren sie fast immer unter seiner Kleidung verborgen. Morgan – dieser ebenso wie der andere – hatte für die Königin trotz ihrer Fürsprache nicht mehr übrig als zuvor – aber sein Hass auf Parkus, der seinerzeit die Verschwörung entdeckt hatte, kannte keine Grenzen.
    Jetzt lag Parker/Parkus mit dem Gesicht nach unten auf dem Strand. Sein Schädel war mit schwärenden Wunden bedeckt, Blut sickerte träge aus seinen Ohren.
    Morgan hätte gern geglaubt, dass er noch lebte und litt, aber sein Rücken hatte sich zum letzten Mal erkennbar gehoben und gesenkt, als er und Gardener vor ungefähr fünf Minuten hier unten bei den Steinen angekommen waren.
    Als Gardener rief, drehte sich Morgan nicht um – er genoss den Anblick seines alten, jetzt gestürzten Feindes. Wer immer behauptet haben mochte, Rache wäre nicht süß, der hatte sich gründlich geirrt.
    »Morgan!« zischte Gardener wieder.
    Diesmal drehte sich Morgan stirnrunzelnd um. »Was ist?«
    »Sehen Sie! Da, auf dem Dach!«
    Morgan sah, dass alle Wetterfahnen – die zahlreichen Messinggebilde, die sich immer mit gleich bleibender Geschwindigkeit gedreht hatten, ob Windstille herrschte oder ein Orkan tobte – aufgehört hatten, sich zu bewegen. Im gleichen Augenblick zitterte die Erde unter ihren Füßen und kam gleich darauf wieder zur Ruhe. Es war, als hätte ein riesiges, unterirdisches Tier sich im Winterschlaf bewegt. Morgan hätte fast geglaubt, es wäre nur Einbildung gewesen, wenn sich Gardeners blutunterlaufene Augen nicht entsetzt geweitet hätten. Ich wette, du wünschst dir, du hättest Indiana nie verlassen, Gard, dachte Morgan. Dort gibt es keine Erdbeben, nicht wahr?
    In allen Fenstern des Agincourt flammte wieder Licht auf.
    »Was hat das zu bedeuten, Morgan?« fragte Gardener heiser. Morgan sah, dass Gardeners irre Wut über den Verlust seines Sohnes jetzt zum ersten Mal in Angst ums

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