Der Talisman
hinterlassen hatten.) »Welche Downtown-Gegend, Morgan?« hatte Tom Woodbine ihn gefragt. Die anderen hatten gekichert. »Ach, Broadway, Greenwich Village. Dort herum.« Weiteres gefühlloses Gekicher. Er war unansehnlich und schlecht angezogen; seine Garderobe bestand aus zwei Anzügen, beide Anthrazit und beide offensichtlich für einen Mann mit den Schultern einer Vogelscheuche angefertigt. Schon in der High School hatte er Haare verloren, sein rosa Skalp schimmerte durch die flach angeklatschte Frisur.
Nein, Sloat war keine Schönheit gewesen, und das war einer der Gründe. Die anderen brachten es fertig, dass er sich vorkam wie eine geballte Faust; die morgendlichen Wunden waren kleine Schattenphotos seiner Seele. Die anderen, wie er und Sawyer am Theater interessiert, hatten scharfgeschnittene Profile, schlanke Taillen, ungezwungene Umgangsformen. Sie hatten sich im Aufenthaltsraum von Davenport House in ihre Sessel gelümmelt, während Sloat in einem Nebel von Schweiß danebenstand, um seine Anzughose nicht zu verknittern, weil er sie dann ein paar Tage länger tragen konnte; manchmal hatten sie ausgesehen wie eine Versammlung von jungen Göttern – Kaschmirpullover um die Schultern drapiert wie das Goldene Vlies. Sie hatten vor, Schauspieler, Dramatiker, Texter zu werden. Sloat hatte sich selbst als Regisseur gesehen, sich vorgestellt, wie er sie alle in ein Netz aus Komplikationen und Projekten verstrickte, das nur er entwirren konnte.
Sawyer und Tom Woodbine, für Sloat beide unvorstellbar reich, waren Zimmergenossen. Woodbine brachte für das Theater nicht mehr als lauwarmes Interesse auf und nahm am Theaterseminar nur teil, weil Phil es tat. Er war ein Goldjunge, der eine teure Privatschule absolviert hatte, und unterschied sich von den anderen durch seine ausgeprägte Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit. Er wollte Anwalt werden und schien bereits damals über die Redlichkeit und Unparteilichkeit eines Richters zu verfügen. (Die meisten von Woodbines Bekannten waren der Ansicht, dass er eines Tages beim Obersten Gerichtshof landen würde, sehr zur Verlegenheit des Jungen.) Nach Sloats Begriffen hatte Woodbine überhaupt keinen Ehrgeiz – er war mehr daran interessiert, rechtschaffen zu leben als gut zu leben. Aber schließlich hatte er ja alles, und was ihm zufällig abging, wurde ihm rasch von anderen gegeben; wie konnte er, von der Natur und seine Freunden so verwöhnt, Ehrgeiz entwickeln? Fast unbewußt verabscheute Sloat Woodbine; er konnte sich nicht überwinden, ihn »Tommy« zu nennen.
In seinen vier Jahren in Yale brachte Sloat zwei Inszenierungen auf die Bretter: No Exit, das die Studentenzeitung »ein heilloses Durcheinander« nannte, und Volpone, das als »aufgepeitscht, zynisch, düster und fast unvorstellbar chaotisch« beschrieben wurde. Die meisten dieser Eigenschaften wurden Sloat angekreidet. Vielleicht war er doch kein Regisseur – seine Sicht war zu gefühlsbetont und verworren. Sein Ehrgeiz ließ nicht nach, er verlagerte sich lediglich. Wenn er schon nicht hinter der Kamera stehen konnte, dann wollte er hinter den Leuten vor der Kamera stehen. Phil Sawyers Gedanken begannen in die gleiche Richtung zu gehen – Phil war nie sicher gewesen, wohin ihn seine Liebe zum Theater führen würde; jetzt glaubte er, möglicherweise ein gewisses Talent zum Vertreten von Schauspielern und Schriftstellern zu haben. »Lass uns nach Los Angeles gehen und eine Agentur gründen«, sagte Phil in ihrem letzten Jahr zu ihm. »Die Idee ist total verrückt, und unsere Eltern werden stocksauer sein, aber vielleicht schaffen wir es ja. Wir brauchen uns nur ein paar Jahre durchzuhungern.«
Phil Sawyer, das hatte Sloat schon bald herausgefunden, war keineswegs reich. Er wirkte lediglich reich.
»Und wenn wir es uns leisten können, engagieren wir Tommy als Anwalt. Bis dahin müsste er mit dem Studium fertig sein.«
»Gute Idee«, hatte Sloat gesagt und dabei gedacht, dass er das zu gegebener Zeit schon verhindern würde. »Wie sollen wir uns nennen?«
»Was hältst du von Sloat & Sawyer? Oder sollen wir uns ans Alphabet halten?«
»Sawyer & Sloat natürlich, nach dem Alphabet«, hatte Sloat gesagt innerlich schäumend, weil er glaubte, sein Partner hätte ihn ein für allemal darauf hingewiesen, dass ihm nach Sawyer irgendwie der zweite Rang zukam.
Beide Elternpaare waren stocksauer, wie Phil vorhergesehen hatte, aber die Partner der frischgebackenen Künstleragentur fuhren in dem alten DeSoto
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