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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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auch Jack Sawyer gegenüber fair handelte, dann würde er ihn darauf hinweisen, dass fünfzigtausend pro Jahr und ein garantierter Collegebesuch nicht nur fair, sondern hochherzig waren. Geradezu fürstlich. Und wer konnte sagen, ob Jack überhaupt an der Firma interessiert war, ob er in dieser Hinsicht irgendwelche Talente besaß?
    Außerdem passierten gelegentlich Unfälle. Wer konnte sagen, ob Jack Sawyer überhaupt das zwanzigste Lebensjahr erreichen würde?
    »Im Grunde geht es nur darum, dass die Besitzverhältnisse geregelt und alle Papiere unterschrieben werden«, erklärte Sloat seinem Sohn. »Lily hat sich zu lange vor mir versteckt. Ihr Gehirn ist mittlerweile so weich wie Quark, das kannst du mir glauben. Sie hat wahrscheinlich kein Jahr mehr zu leben. Wenn ich mich also nicht aufmache und zusehe, dass ich sie festnagele, dann könnte sie die Angelegenheit so lange hinauszögern, bis alles testamentarisch festgelegt ist oder sie einen Treuhandfonds errichtet hat, und ich glaube nicht, dass die Mama deines Freundes mir die Verwaltung übertragen würde. Aber ich will dich nicht mit meinen Problemen langweilen. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich ein paar Tage nicht zu Hause bin, nur für den Fall, dass du anrufen willst. Und denk an die Bahn, ja? Wir müssen unbedingt einmal wieder damit fahren.«
    Der Junge versprach zu schreiben, fleißig zu lernen und sich um seinen Vater oder Lily Cavanaugh oder Jack keine Sorgen zu machen. Und irgendwann, wenn sein gehorsamer Sohn vielleicht sein letztes Jahr in Stanford oder Yale absolvierte, würde Sloat ihn mit der Region bekanntmachen. Richard würde dann sechs oder sieben Jahre jünger sein, als er selbst gewesen war – damals, als Phil Sawyer, vergnügt und high von Marihuana, in ihrem ersten kleinen Büro in North Hollywood seinen Partner zuerst verblüfft, dann (weil Sloat sicher war, dass Phil sich über ihn lustig machte) in Wut gebracht und schließlich fasziniert hatte (denn Phil war offensichtlich zu sehr weggetreten, um diesen ganzen Science-Fiction-Roman über eine andere Welt erfinden zu können). Und wenn Richard die Region sah, war die Sache gelaufen – sie würde seine Pläne ändern, wenn er es bis dahin nicht schon selbst getan hatte. Schon ein kurzer Ausflug in die Region genügte, um den Glauben an die Allmacht der Wissenschaft zu erschüttern.
    Sloat fuhr sich mit der Hand über den glänzenden Schädel, dann befingerte er genüsslich seinen Schnurrbart. Der Klang der Stimme seines Sohnes hatte ihn auf eine geheimnisvolle, beiläufige Art beruhigt, solange Richard höflich hinter ihm hertrabte, war alles gut, alles war gut, alles und jedes war gut. In Springfield, Illinois, war es bereits Abend, und im Nelson House der Thayer School kehrte Richard Sloat über den grünen Korridor an seinen Schreibtisch zurück und dachte vielleicht an die schönen Zeiten, die sie auf Morgans Spielzeug-Eisenbahn an der kalifornischen Küste erlebt hatten und wieder erleben würden. Wenn der Jet seines Vaters hoch über ihm und einige hundert Kilometer weiter nördlich vorbeizog, würde er bereits schlafen; aber Morgan Sloat würde das Rouleau seines Erste-Klasse-Fensters beiseiteschieben und hoffen, dass der Mond schien und die Wolken sich teilten.
     
    Er wäre am liebsten gleich nach Hause gefahren – es war eine Fahrt von nur dreißig Minuten –, damit er sich umziehen, etwas essen und vielleicht ein bisschen Kokain schnupfen konnte, bevor er zum Flughafen musste. Stattdessen musste er über den Freeway zur Marina, eine Verabredung mit einem Klienten, der übergeschnappt und nahe daran war, aus einem Film hinausgeworfen zu werden, und dann ein Treffen mit einem Haufen von Querulanten, die behaupteten, ein Projekt von Sawyer & Sloat gleich neben der Marina del Rey verschmutzte den Strand – Dinge, die sich nicht aufschieben ließen. Aber sobald er sich um Lily Cavanaugh und ihren Sohn gekümmert hatte, würde er damit anfangen, Klienten von seiner Liste zu streichen, das versprach er sich – er hatte jetzt Besseres zu tun. Jetzt war er der Makler ganzer Welten, und sein Anteil an dem Geschäft würden keine schäbigen zehn Prozent sein. Wenn er zurückdachte, begriff Sloat selber nicht recht, wie er Phil Sawyer überhaupt so lange ertragen hatte. Sein Partner war nie auf Gewinn ausgewesen, nicht ernsthaft; er war behindert von sentimentalen Vorstellungen über Ehre und Loyalität, verdorben von dem Kram, den man Kindern einredete, um sie zu

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