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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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antworten? Sprachen die Leute hier überhaupt Englisch? Einen Augenblick lang stellte Jack sich vor, er müsste versuchen, sich unauffällig in einer Welt zu bewegen, in der die Leute so sprachen, wie die Pilgerväter gesprochen hatten; er beschloss, den Stummen zu spielen, wenn das der Fall sein sollte.
    Endlich wendete der Kutscher den Blick von Jack ab und rief seinen Pferden etwas zu, das eindeutig kein amerikanisches Englisch der achtziger Jahre war. Aber vielleicht war das nur die Art, in der man mit Pferden redete. Slusha! Slusha! Jack wich in das Seegras zurück und wünschte sich, ein paar Sekunden früher auf die Beine gekommen zu sein. Der Mann warf Jack noch einen Blick zu und überraschte ihn durch ein Nicken – eine Geste, die weder freundlich noch unfreundlich war, ein Gruß zwischen Gleichgestellten. Ich will froh sein, wenn ich mein Tagewerk geschafft habe, Bruder. Jack erwiderte das Nicken, versuchte, die Hände in die Taschen zu stecken, und einen Augenblick lang musste er vor Erstaunen ein dummes Gesicht gemacht haben. Der Kutscher lachte – nicht unfreundlich.
    Jacks Kleidung hatte sich verwandelt. Anstelle seiner Cordjeans trug er eine grobe, weite Wollhose. Oberhalb der Taille bedeckte ihn eine locker sitzende Jacke aus weichem blauem Stoff. Anstelle von Knöpfen hatte die Jacke – das Wams? überlegte er – eine Reihe von Haken und Ösen. Wie die Hose war sie offensichtlich Handarbeit. Auch die Turnschuhe waren verschwunden und durch flache Ledersandalen ersetzt worden. Der Rucksack hatte sich in einen Lederbeutel verwandelt, der an einem dünnen Riemen über seiner Schulter hing. Der Kutscher trug fast die gleiche Kleidung – sein Wams war aus Leder und voller Flecken, die aussahen wie die Jahresringe im Innern eines alten Baumes.
    Ratternd und Staub aufwirbelnd polterte der Karren an Jack vorüber. Von den Fässern ging ein scharfer Biergeruch aus. Hinter den Fässern lagen Dreierstapel von etwas, das Jack gedankenlos für Lastwagenreifen hielt. Doch dann roch er die »Reifen« und bemerkte im gleichen Augenblick, dass sie makellos glatt waren – es war ein sahniger Duft, voll geheimer Tiefe und sanfter Wonne, der ihn unvermittelt Hunger verspüren ließ. Käse, aber kein Käse, den er je gegessen hatte. Hinter den Käserädern, im hinteren Teil des Karrens, schlitterte ein unregelmäßiger Berg rohen Fleisches – lange, gehäutete Rinderseiten, große Scheiben Steak, ein Haufen glitschiger Innereien, die er nicht identifizieren konnte – unter einer gleißenden Matte von Fliegen. Der starke Geruch des Fleisches überfiel Jack und tötete den Hunger, den der Käse geweckt hatte. Nachdem der Karren vorbei war, trat Jack in die Mitte des Weges und beobachtete, wie er dem Kamm eines kleinen Hügels entgegenrumpelte. Eine Sekunde später begann er ihm zu folgen, Richtung Norden.
    Er hatte erst die Hälfte der Anhöhe hinter sich gebracht, als er abermals die Spitze des großen Zeltes sah, ragend inmitten einer Menge schmaler, flatternder Fahnen. Das, so vermutete er, war sein erstes Ziel. Noch ein paar Schritte an den Brombeersträuchern vorüber, wo er das vorige Mal stehen geblieben war (Jack erinnerte sich, wie gut die Beeren geschmeckt hatten, und schob sich zwei der riesigen Früchte in den Mund), und dann konnte er das ganze Zelt sehen. Es war ein riesiger, weitläufiger Pavillon mit langen Flügeln zu beiden Seiten, mit Toren und einem Innenhof. Wie das Alhambra stand auch dieses merkwürdige Bauwerk – ein Sommerpalast, wie Jack instinktiv erkannte – unmittelbar am Rand des Ozeans. Kleine Gruppen von Leuten bewegten sich innerhalb und außerhalb des großen Pavillons, getrieben von Kräften, so machtvoll und unsichtbar wie die Wirkung eines Magneten auf Eisenspäne. Die kleinen Gruppen vereinigten sich, gingen auseinander, verschmolzen wieder.
    Einige der Männer trugen kostbar aussehende Gewänder in leuchtenden Farben, die meisten jedoch waren ebenso gekleidet wie Jack. Ein paar Frauen in glänzenden, langen weißen Roben schritten über den Hof, zielstrebig wie Generäle. Außerhalb der Tore standen zahlreiche kleinere Zelte und Holzhütten, die einen improvisierten Eindruck machten; auch hier bewegten sich Leute, aßen, handelten, unterhielten sich, aber ungezwungener und beiläufiger. Irgendwo in der geschäftigen Menge würde er den Mann mit der Narbe finden müssen.
    Doch zuerst blickte er hinter sich, den tief ausgefahrenen Weg entlang, um zu sehen, was aus Funworld

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