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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Uniformen sahen sie aus wie kostümierte Bauern. Die beiden Männer, denen Jack gefolgt war, hatten sich offenbar den Wachtposten gegenüber ausgewiesen; nach kurzem Wortwechsel traten die Uniformierten beiseite und ließen sie durch. Einer der Wachtposten bedachte Jack mit einem misstrauischen Blick, und Jack wendete den Kopf ab und trat zurück.
    Wenn es ihm nicht gelang, den Hauptmann mit der Narbe zu finden, würde er nie in den Palast hineinkommen.
    Einige Männer näherten sich dem Posten, der Jack gemustert hatte, und begannen zu argumentieren. Sie hatten eine Verabredung, es war von größter Bedeutung, dass sie hineinkamen, viel Geld stand auf dem Spiel, aber leider hatten sie keine Papiere. Der Posten schüttelte den Kopf; sein Kinn schabte über die weiße Halskrause seiner Uniform. Jack, der sich noch immer fragte, wie es ihm gelingen sollte, den Hauptmann zu finden, sah, wie der Anführer der kleinen Gruppe die Hände in der Luft schwenkte und sich mit der Faust auf die Handfläche schlug. Sein Gesicht war jetzt so rot wie das des Postens. Schließlich begann er, mit dem Zeigefinger auf den Posten einzustechen. Der andere Posten trat neben ihn, und beide wirkten gelangweilt, fast feindselig.
    Ein hochgewachsener Mann in einer Uniform, die sich irgendwie von der der Posten unterschied – vielleicht war es nur die Art, wie er sie trug, aber sie sah aus, als wäre sie nicht nur in einer Operette, sondern auch in der Schlacht brauchbar –, tauchte lautlos neben ihnen auf. Er hatte keine Halskrause, stellte Jack einen Moment später fest, und auf dem Kopf trug er keinen Dreispitz, sondern eine Art Schirmmütze. Er redete mit den Wachtposten und wendete sich dann dem Anführer der kleinen Gruppe zu. Es gab kein Schreien, kein Fingerstechen mehr. Der Mann sprach ganz ruhig, und Jack sah, wie die Gruppe aufhörte, eine Gefahr darzustellen. Die Männer traten von einem Fuß auf den anderen, ihre Schultern sackten herunter. Dann verzogen sie sich. Der Offizier sah ihnen nach und sprach noch einmal mit den Wachtposten.
    In dem Augenblick, in dem der Offizier, der die Männer gewissermaßen durch seine bloße Anwesenheit verscheucht hatte, Jack das Gesicht zuwandte, bemerkte Jack eine lange bleiche Narbe, die sich wie eine Blitzspur von seinem rechten Auge bis fast zum Kiefer hinzog.
    Der Offizier nickte den Posten zu und entfernte sich mit raschen Schritten. Ohne nach rechts oder links zu schauen, schritt er durch die Menge; sein Ziel lag offenbar an der Seite des Sommerpalastes. Jack lief ihm nach.
    »Sir!« rief er, aber der Offizier setzte seinen Weg durch die schiebende Menge fort.
    Jack rannte um ein paar Männer und Frauen herum, die ein Schwein zu einem der kleinen Zelte zerrten, schoss durch eine Lücke zwischen zwei weiteren Personengruppen, die sich dem Tor näherten, und war dem Offizier endlich nahe genug, um die Hand ausstrecken und seinen Ellenbogen berühren zu können. »Hauptmann?«
    Der Offizier wirbelte herum und bannte Jack auf der Stelle fest. Aus der Nähe betrachtet wirkte die Narbe dick und isoliert, wie ein lebendes Wesen, das auf dem Gesicht des Mannes saß. Selbst wenn die Narbe nicht wäre, dachte Jack, spräche aus diesem Gesicht kraftvolle Ungeduld. »Was willst du, Junge?« fragte der Mann.
    »Hauptmann, mir wurde gesagt, ich sollte mich an Sie wenden – ich muss die Dame sehen, aber ich glaube, ich komme nicht in den Palast hinein. Ach ja, das sollte ich Ihnen zeigen.« Er griff in die geräumige Tasche der ungewohnten Hose und schloss die Finger um den dreieckigen Gegenstand.
    Als er ihn auf der Handfläche vorzeigte, durchfuhr ihn Bestürzung – was er in der Hand hielt, war kein Plektron, sondern ein langer Zahn, vielleicht ein Haifischzahn, mit einem vielfach gewundenen und verschlungenen Goldmuster eingelegt.
    Als Jack aufblickte und halb mit einem Schlag rechnete, sah er eine ähnliche Bestürzung auf dem Gesicht des Hauptmanns. Die Ungeduld, die für den Mann so typisch schien, war völlig verschwunden. Einen Augenblick lang verzerrten Unsicherheit und sogar Angst seine kraftvollen Züge. Der Hauptmann hob die Hand, und der Junge glaubte, er wollte den gemusterten Zahn an sich nehmen; er hätte ihn ausgehändigt, aber der Mann bog nur die Finger des Jungen um den Gegenstand auf seiner Handfläche. »Komm mit«, sagte er.
    Sie gingen an der Seite des Pavillons entlang, und der Hauptmann trat in einen Raum hinter einer großen, segelförmigen Klappe aus steifem, verblichenem

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