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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Jack.
    Der Mann zerrte ihn in einen anderen, engeren Korridor. Das Innere des Palastes hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Innern eines Zeltes, stellte Jack fest. Es war ein labyrinthisches Gewirr von Gängen und kleinen Räumen, und es roch nach Rauch und Fett.
    »Versprich es!« brüllte der Hauptmann.
    »Ich verspreche es! Ganz bestimmt!«
    Als sie aus einem weiteren Korridor herauskamen, stießen sie auf eine Gruppe kostbar gekleideter Männer, die entweder an einer Wand lehnten oder auf Polsterbänken saßen und die Köpfe nach diesem lauten Paar umdrehten. Einer von ihnen, der gerade damit beschäftigt war, zwei Frauen mit Stapeln von Laken auf den Armen Anweisungen zu geben, warf Jack und dem Hauptmann einen argwöhnischen Blick zu.
    »Und ich verspreche dir eine gehörige Tracht Prügel«, sagte der Hauptmann laut.
    Einige der Männer lachten. Sie trugen weiche, breitrandige, pelzbesetzte Hüte und Samtstiefel. Ihre Gesichter waren gierig und rücksichtslos. Der Mann, der mit den Frauen gesprochen hatte, offenbar ihr Anführer, war groß und mager wie ein Skelett. Sein verkniffenes, habgieriges Gesicht verfolgte den Mann und den Jungen, die vorbeieilten.
    »Bitte nicht!« heulte Jack. »Bitte!«
    »Jedes Bitte ist eine weitere Tracht!« knurrte der Soldat, und die Männer lachten wieder. Der Magere gestattete sich ein Lächeln, das so kalt war wie eine Messerklinge, bevor er sich wieder den Frauen zuwandte.
    Der Hauptmann stieß den Jungen in einen leeren Raum, in dem ein paar verstaubte Holzmöbel standen. Dann endlich ließ er Jacks schmerzenden Arm los. »Das waren seine Leute«, flüsterte er. »Wie das Leben aussehen wird, wenn …« Er schüttelte den Kopf und schien für einen Augenblick seine Eile zu vergessen. »Im Buch vom guten Wirtschaften heißt es, dass die Erde den Sanftmütigen gehören soll, aber in diesen Kerlen steckt nicht einmal ein Teelöffel voll Sanftmut. Sie nehmen alles, was sie bekommen können. Sie wollen Reichtum, sie wollen …« Er blickte nach oben, nicht willens oder nicht fähig zu sagen, was die Männer draußen sonst noch alles wollten. Dann richtete er den Blick wieder auf den Jungen. »Wir müssen uns beeilen; aber in diesem Palast gibt es immer noch ein paar Geheimnisse, die seine Leute noch nicht kennen.« Er deutete mit einem Nicken auf eine verblichene Holzwand.
    Jack folgte ihm und begriff, als der Hauptmann zwei der flachen braunen Nagelköpfe verschob, die am Ende eines staubigen Brettes freilagen. Eine Tür in der verblichenen Wand schwang einwärts und gab den Weg frei in einen engen, schwarzen Gang, nicht breiter als ein hochkant gestellter Sarg. »Du wirst nur einen Blick auf sie werfen können, aber ich denke, das ist alles, was du brauchst. Auf jeden Fall ist es alles, was du erreichen kannst.«
    Der Junge folgte der stummen Anweisung, in den Gang einzutreten. »Immer geradeaus, bis ich Bescheid sage«, flüsterte der Hauptmann. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, bewegte sich Jack in völliger Dunkelheit vorwärts.
    Der Gang wand sich abwechselnd nach der einen und der anderen Seite, nur gelegentlich schwach erhellt von Licht, das durch den Spalt einer verborgenen Tür oder durch ein Fenster über dem Kopf des Jungen einfiel. Jack hatte bald jedes Gefühl für die Richtung verloren und folgte blindlings den geflüsterten Anweisungen seines Begleiters. Einmal roch er den köstlichen Duft bratenden Fleisches, ein anderes Mal den unverkennbaren Gestank einer Kloake.
    »Halt«, sagte der Hauptmann endlich. »Jetzt muss ich dich hochheben. Streck die Arme aus.«
    »Werde ich sie sehen?«
    »Das wirst du in einer Sekunde wissen«, sagte der Hauptmann, schob die Hände unter Jacks Achselhöhlen und hob ihn kraftvoll in die Höhe. »Vor dir ist ein Brett«, flüsterte er. »Schieb es nach links.«
    Jack tastete blindlings nach vorn und berührte glattes Holz. Es glitt leicht beiseite, und genügend Licht fiel in den Gang, dass er eine Spinne von der Größe einer jungen Katze sehen konnte, die zur Decke emporkroch. Dann blickte er in einen Raum hinab, der so groß war wie eine Hotelhalle, angefüllt mit Frauen in Weiß und so kostbaren Möbeln, dass sich der Junge an all die Museen erinnerte, die er mit seinen Eltern besucht hatte. In der Mitte des Raums lag eine Frau schlafend oder bewusstlos in einem riesigen Bett; nur ihr Kopf und ihre Schultern ragten aus dem Laken hervor.
    Und dann hätte Jack vor Bestürzung und Schrecken fast aufgeschrien,

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