Der Tanz der besseren Gesellschaft (German Edition)
letzten Moment doch noch zu widerrufen.
Diese entfernte sich mit gemessenen Schritten von dem Bassin und schien sich über die plötzlich fast greifbare Stille in keinster Weise zu wundern. Dann verließ sie den Baderaum und zog die große Tür hinter sich zu.
Sofort erwachten die Mädchen aus ihrer Erstarrung. Judith, mit glühendem Gesicht, mit Hemdchen und einem einzelnen schwarzen Strumpf notdürftig bekleidet, stürzte aus ihrer Kabine, eilte die Plattform entlang, die Treppe zum Parkettboden hinunter und hinüber zur Tür. In deren Schloss steckte ein Schlüssel, und diesen drehte das Mädchen jetzt in fliegender Hast. Versperrt!
Triumphierend drehte sich die Vertrauensschülerin um und ging zu dem riesigen Badezuber zurück. Alle Mädchen waren inzwischen vor ihre Umkleiden getreten und sahen ihr mit blitzenden Augen entgegen. Manche waren bereits gänzlich bekleidet, andere standen barfuß da, einige hatten, da sie mehr Zeit als die anderen mit Selbstbeglückung verbracht hatten, wie Judith selbst nur ein Hemd an, vielleicht ein Höschen und den einen oder anderen Strumpf.
Als die blonde Rädelsführerin sich vor ihnen aufbaute, merkte man sogleich, dass die Kleine eine gewisse Erfahrung damit hatte, das Wort zu ergreifen und Anordnungen zu erteilen. Sie hatte aber auch leichtes Spiel, denn was sie zu befehlen gedachte war, wie sie nur zu genau wusste, genau das, was die Mädchen jetzt hören – und machen – wollten.
„Meine lieben Freundinnen“, setzte sie zu einer halblaut vorgetragenen, kurzen Ansprache an, „wie ihr von der ehrwürdigen Mutter vernommen habt, bin ich jetzt eure Aufsichtsdame und ihr müsst allen meinen Anordnungen sofort gehorchen. Ich wünsche, noch ein weiteres Bad zu nehmen und dass ihr mir dies alle gleichtut; ich wünsche ferner, dass wir bei diesem Bad gänzlich ohne Kleidung auskommen. Außerdem ordne ich hiermit an, dass wir uns alle, wenn wir schon mal nackt im Wasser sind, nach Kräften vergnügen und nichts auslassen, was wir uns gegenseitig an Freuden angedeihen lassen können. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Gibt es Einwände oder seid ihr alle einverstanden?“
Zuletzt war es Judith nur noch unter großen Mühen gelungen, ihre gespielte Strenge nicht in einem ganz und gar unziemlichen Lachanfall untergehen zu lassen; jetzt grinste sie siegesgewiss und blickte sich um. Allenthalben begegneten ihr leuchtende Mädchenaugen, denen die Vorfreude ins Gesicht geschrieben stand.
Dann brachen alle in hektische Aktivitäten aus. Diejenigen, die sich mit dem Ankleiden besonders viel Zeit gelassen hatten, konnten jetzt ihren Rückstand sehr leicht in einen Vorsprung verwandeln. Höschenbänder wurden geöffnet, Hemdchen über Köpfchen gezogen, Strümpfe von den Schenkeln gerollt. Im Nu waren die ersten letzten Hüllen gefallen und die glücklich Entblößten fielen einander in die Arme, drückten Brust an Brust, nackte Haut an nackte Haut, und begannen zu schmusen und sich zu liebkosen wie Liebespaare.
Die anderen, die wie Vesna schon etwas mehr am Leibe trugen, eilten in ihre Kabinen um diesen unhaltbaren Zustand in kürzestmöglicher Zeit zu beenden. Sie rissen sich die Mieder wieder herunter, schüttelten heftig die Füße, um die Schuhe von sich zu schleudern, ließen Röcke auf den Boden fallen und Blusen über die Bretterwände fliegen. Hermann und Jakob kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus – jetzt erlebten sie, wie rasch ein Weib sich wirklich seiner Gewandung entledigen konnte, wenn die Sekunden zählten. Es war unglaublich und in höchstem Maße entzückend, denn in weniger als einer Minute hatten sich acht nichts als nackte Haut zeigende Elfen auf der Plattform versammelt, dicht an dicht drängelten sich grazile, weiße Mädchenleiber, und dann sprang auch schon die erste in das erfrischende Nass, und alle anderen folgten auf dem Fuße. Wie sie sich umgarnten und liebkosten! All die vielen Regeln, die Töchter aus gutem Hause zu befolgen hatten, alle Beschränkungen, denen sie unterworfen waren, um aus ihnen einst gute Ehefrauen zu machen – all dies war in diesem Moment vergessen, existierte nicht. Sie lebten nur für den Augenblick, und sie genossen jeden Augenblick – in gegenseitiger Liebe und Zärtlichkeit verbunden. Hier nun war zu erleben, was geschah, wenn sie denn von der Kandare gelassen wurden, wenn die Zügel der Sittsamkeit und des wohl erzogenen Anstands gelockert wurden. Fraglos alarmierend und fraglos atemberaubend war das
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