Der tanzende Tod
hat sich ereignet, dass ich kaum weiß, wo ich beginnen soll. Ich habe so viele Fragen an dich.«
»Und ich an dich.«
Ich lachte kurz auf. »Ich habe das Gefühl, deine werden einfacher zu beantworten sein. Stelle deine Fragen als Erste.«
Sie passte sich meinem fröhlichen Tonfall an. »Nun, geht es deiner Familie gut?
Die Nachrichten über den Krieg – dieser Brief, den du von deinem Vater bekamst...«
Gott, dies hatte vor einer Ewigkeit stattgefunden. »Es geht ihnen allen gut, oder so war es zumindest, als ich sie letzten September verließ. Vater entschied, dass die Familie zurück nach England gehen solle. Darum bin ich wieder hier, oder zumindest ist dies einer der Gründe dafür. Ich wäre ohnehin zu dir zurückgekehrt, dies musst du wissen, aber –«
»Ich weiß es.«
»– aber ich hatte Angst, du würdest mich nicht wiedersehen wollen. Du hast dafür gesorgt, dass ich alles vergaß, und ich wusste nicht, warum. Und ich konnte nicht verst...« Ich hielt plötzlich inne. Es war nicht der beste Weg, das Thema anzuschneiden, indem ich direkt hineinsprang und Fragen stellte, die zu sehr nach Anschuldigungen klangen. Eines nach dem anderen. »Meine – meine Schwester Elizabeth kam mit mir her; ich kann es nicht erwarten, dass du ihr begegnest. Sie möchte dich unbedingt kennen lernen.«
Sie versteifte sich. »Du hast ihr von mir erzählt? Von uns?«
»Natürlich habe ich dies getan. Ich musste es tun – um zu versuchen, ihr zu erklären, was mit mir geschehen ist.«
»Was mit dir ge... – ich verstehe nicht.«
»Ich verstand es anfangs ebenfalls nicht. Und ich hatte damals solche Angst.« Nun hatte ich ebenfalls Angst. Die Worte blieben mir wieder im Halse stecken. Aber anstatt darum zu kämpfen, nahm ich ihre Hand und drückte ihre Handfläche fest gegen meine Brust. Ich wusste, sie würde die völlige Stille dort wahrnehmen, genau, wie ich die Stille ihres eigenen Herzens vernahm. »Dies ist geschehen.«
Sie verstummte vollkommen, und die Farbe wich ihr aus dem Gesicht. Sie schüttelte den Kopf, zuerst im Zweifel und dann als Verweigerung. »Nein ... es kann nicht sein.«
»Ich bin wie du, Nora.«
»Nein, das ka... – nein, o nein.« Sie zog ihre Hand fort, stand auf und wich mit raschen Schritten vor mir zurück, indem sie die ganze Zeit den Kopf schüttelte.
Ich griff nach ihr, aber sie wich immer weiter zurück, bis sie schließlich gegen eine Wand stieß. Sie starrte mich verzweifelt an und sagte kein Wort. »Was gibt es? Was ist los?«
Sie schüttelte nur den Kopf und starrte mich an.
»Was stimmt denn nicht? Um Gottes willen, beruhige dich und sprich mit mir!« Ich hatte das starke Bedürfnis, zu ihr zu gehen, aber irgendein weiser Instinkt riet mir, zu bleiben, wo ich mich befand, und nicht die kleinste Bewegung zu machen.
Sie wirkte wie ein verängstigter Vogel, der bereit ist, beim kleinsten Anlass fortzufliegen. Warum? Warum hatte sie Angst vor mir? Ich schlug einen sanften Tonfall an. »Nora, bitte ... ich brauche dich. Ich liebe dich. Trotz allem, was zwischen uns vorgefallen ist, habe ich niemals aufgehört, dich zu lieben.«
Nun zitterte sie, aber sie bemühte sich, ruhiger zu werden. Zumindest hörte sie mir zu.
»Wa-wann?«
»Vor einem Jahr, im vergangenen August«, antwortete ich, da ich intuitiv die Bedeutung ihrer Frage erkannte.
»Wie?«
Ich berührte meine Brust. »Ich wurde erschossen ... hier. Als ich aufwachte, wurde mir klar, dass ich wie du war. Die Male, als wir Blut austauschten ... auf diese Weise wurde es weitergegeben, nicht wahr?«
Sie nickte einmal.
»Seitdem lebe ich wie du –«
»Und du ernährst dich wie ich?«, verlangte sie mit schärferer Stimme zu wissen.
»Nein, nicht genauso wie du.«
Sie hatte keine Atemluft mehr. Ihre nächste geflüsterte Frage war nicht zu hören. Ich konnte nur sehen, wie sich die Worte auf ihren weißen Lippen formten.
»Entschuldigung, was hast du gesagt?«
Sie schluckte hart und atmete durch den Mund ein. »Hast du ...« Ein weiteres Schlucken, ein weiterer Atemzug. »Hast du jemanden getötet?« Ich starrte sie verständnislos an. »Getötet?«
»Du hast mich verstanden.«
Gewiss hatte ich getötet, im Hause von Mrs. Montagu, als ich Vater und Dr. Beldon vor diesen verdammten Rebellen schützen musste, in Elizabeths Hause, als ich Ash erschossen und Tully wie eine Puppe durch den Raum geworfen hatte – aber wie konnte etwas davon für Nora von Belang sein? Konnte sie auf irgendeine Weise von dem wissen,
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