Der tanzende Tod
was sich hier in London zutrug? Irgendeine verfälschte Geschichte über Ridley gehört haben?
»Zu meiner eigenen Verteidigung, zur Verteidigung anderer Menschen«, begann ich, aber hielt inne, als ich das Entsetzen sah, welches sich auf ihren Zügen ausbreitete. »Nora, was gibt es?«
Sie schloss die Augen und weigerte sich, meinem Blick zu begegnen.
Schließlich dämmerte es mir, schwerfällig, langsam und entsetzlich. »Lieber Gott – ich beschaffe mir, was ich zum Leben benötige, von Pferden oder Kühen. Du denkst doch nicht, dass ich jemanden töten würde, um mir sein Blut anzueignen?«
O doch, dies war genau, was sie dachte, wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig interpretierte. War ich bei Arthur Tyne nicht nahe daran gewesen? Ich war verwundet und außer mir vor Rachsucht wegen meiner Verletzungen gewesen, hatte kurz vor dem Verhungern gestanden, aber dennoch ...
»Dies würde ich nicht tun. Dies würde ich niemals tun! Du musst mir glauben, Nora.«
»Niemals?« Ihre Stimme war hoch und klang zweifelnd.
Fast hätte ich aufgestöhnt, aber nichts weniger als die Wahrheit würde irgendeinem von uns helfen. »Beinahe hätte ich es getan. Einmal. Er hatte mich fast getötet, und ich musste von ihm trinken, um mich selbst zu retten ... aber ich habe ihn nicht getötet. Ich ließ ihn gehen.«
»Wer war es?«
»Niemand Wichtiges, niemand Unwichtiges. Einfach ein Mann.«
»Und was ist mit Frauen?«, murmelte sie.
Nun begann ich rot anzulaufen. »Nun, ich – ich habe nicht zölibatär gelebt, aber keine Frau, mit der ich je zusammen war, musste für meinen Appetit leiden. Weißt du so wenig über mich, dass du denken kannst, ich würde jemanden zugunsten meines eigenen Vergnügens verletzen?« Erst in der vergangenen Nacht hatte ich eine harte Lehre zu diesem Thema erhalten. Niemals wieder.
»Dies ist genau der Punkt, Jonathan. Du hast dich verändert. Die Fähigkeiten, welche du nun besitzt, stellen dich über alle anderen Menschen, über ihre Gesetze, über ihre Strafen –«
Ich antwortete mit einem ungläubigen Schnauben. »Ich glaube nicht, liebste Dame.«
»Dann hast du es noch nicht vollkommen erfasst.«
»Oh, ich glaube schon, mit beiden Händen, und ebenso schnell habe ich es wieder losgelassen.«
»Du bist noch immer sehr jung.«
»Dies erzählt mir auch meine Schwester, aber ich bin kein Narr. Ist es dies, was dich so aufgebracht hat? Dass du dachtest, ich hätte mich in eine Art mordgierigen Schurken verwandelt?«
»So einfach ist das nicht.«
»Ich glaube, es ist so einfach, aber, um Himmels willen, sei versichert, dass ich der Mann bin, den du zuvor kanntest. Vielleicht sogar ein wenig klüger. Glaube mir, ich habe über dieses Thema der mordgierigen Schurkereien ausführlich mit meinem Vater und meiner Schwester geredet –«
Wieder blickte sie mich verzweifelt an. »Deine Familie weiß davon?«
»Nur Vater, Elizabeth, Oliver und natürlich mein Kammerdiener Jericho ...« Sie starrte mich weiterhin an.
Mich überkam die Ungeduld. »Wie hätte ich es ihnen nicht erzählen können?«
»Und sie ... akzeptieren dich?«
»Natürlich taten sie dies, als sie erst einmal über die Überraschung hinweggekommen waren.«
»Sie müssen unglaublich verständnisvoll sein.«
»Ich sage nicht, dass es für irgendeinen von uns leicht war, aber vor die Wahl gestellt, ob sie mich so nehmen wollten, wie ich war, oder hinnehmen, dass ich begraben worden war und auf dem Friedhof verrottete, war es für sie keine schwere Entscheidung. Tatsächlich wollen sie dir für das danken, was du getan hast.«
»Mir danken?«
»Trotz der schweren Zeit, die wir durchlitten haben, hat mich diese Veränderung ihnen zurückgebracht, und dafür sind wir dir alle dankbar. Mein Zustand hat mir eine größere Wertschätzung für das Leben geschenkt, sowohl für das ihre als auch für das meine. Ich weiß, wie kostbar und zerbrechlich dies alles ist, wie schnell und einfach es durch Leichtsinn zerstört werden kann. Ich glaube, es geht nicht so sehr darum, dass ich wie du geworden bin, sondern darum, ob du selbst es akzeptieren kannst oder nicht. Ich bete, dass du dazu in der Lage sein wirst.«
»Ich habe keine andere Wahl«, meinte sie unglücklich.
Ihre Niedergeschlagenheit verblüffte mich. »Du hast keine andere Wahl?«, brauste ich auf. »Hast du damals etwa keine Wahl getroffen? Du nahmst mich in dein Bett mit, und wir liebten uns, und du gabst mir dein Blut. Hast du damals etwa nicht die Wahl getroffen,
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