Der tanzende Tod
mich zu dem zu machen, was du bist? Oder war ich nur ein praktisches Hilfsmittel, um dein eigenes Vergnügen zu erhöhen?«
»Nein!« Sie hob die Fäuste vor Enttäuschung. »Oh, du verstehst überhaupt nichts.«
»Dann hilf mir dabei!«
Aber sie blieb stumm. Dies hatte ich mit meinem Ärger erreicht.
Plötzlich sackte ich auf meinem Platz zusammen und wandte mich von ihr ab, augenblicklich überkommen von dem dunklen Schatten dahinschwindender Hoffnung. Sie hatte Angst, und ich konnte nicht ergründen, warum. »Vergib mir, Nora. Es liegt nur daran, dass ich so lange darauf gewartet habe, dich wieder zu sehen. Ich habe so viele Fragen, und du bist die Einzige, die sie möglicherweise beantworten kann. Aber wenn du dies nicht kannst oder willst, werde ich dich nicht dazu drängen. Ich werde den Grund dafür respektieren, wie auch immer er lauten mag, selbst wenn du ihn mir nicht mitteilen möchtest.«
Lange Zeit – ein langes Schweigen – später fragte sie: »Meinst du dies wirklich so?«
»Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, nur das zu sagen, was ich auch meine. Jedoch bedeutet dies keine Garantie dafür, dass ich mich nicht zum Narren mache. Vielleicht bin ich auch jetzt ein Narr, aber dies ist besser, als wenn ich dich auf irgendeine Weise quälen würde. Offensichtlich war es ein Schock für dich, und zwar ein unangenehmer; ich möchte es nicht noch schlimmer machen.«
»Es war nur ein Schrecken«, meinte sie. »Ein größerer, als du je wissen oder auch nur vermuten wirst.«
Ich wagte es kaum, sie anzusehen, aber tat es dennoch. Sie hatte sich ein wenig entspannt und zitterte nicht länger. Dies war zumindest ein kleiner Fortschritt.
»Wirst du mit mir sprechen, Nora? Bitte?«
Erneut schwieg sie und blickte mir intensiv in die Augen. Dann nickte sie.
Ich schloss meine Augen vor Erleichterung. »Ich danke dir.« Ich blieb, wo ich mich befand, damit sie den ersten Schritt tun konnte. Jener weise Instinkt sagte mir, dass es noch immer sehr wahrscheinlich war, dass sie davonflöge, und dass es das Beste sei, mich ihrem Tempo anzupassen, ohne sie zu drängen.
Sehr vorsichtig und in sich gekehrt ließ sie sich in Olivers Sessel am Feuer nieder. Ich würde sehr behutsam und langsam vorgehen müssen. Dies war schwierig, da in mir das starke Bedürfnis aufstieg, sie in meine Arme zu schließen und zu versuchen, sie zu trösten. Vielleicht später, falls und sobald sie dazu bereit war. Jetzt war nicht die richtige Zeit dafür.
»Wo sollen wir beginnen?«, fragte sie, indem sie ihre Hände krampfhaft verschränkte. Sie erinnerte mich an einen Schuljungen, der zu einem unangenehmen Thema geprüft werden soll.
Obgleich ich das Bedürfnis verspürte, ihr die Frage als Forderung entgegenzubrüllen, ließ ich meine Stimme sanft klingen. »Warum hast du mich nicht darauf vorbereitet und mir erzählt, dass dies geschehen würde?«
Sie senkte den Blick. »Weil ich nicht dachte, dass es jemals geschehen würde.«
»Was meinst du damit?«
»Du bist nicht der einzige Mann, den ich auf diese Weise liebte, Jonathan.«
»Es gab noch einen anderen?«
»Mehrere andere, lange vor dir.«
Dies war kaum eine Neuigkeit für mich, in Anbetracht der Tatsache, wie sehr sie die Gesellschaft ihrer Höflinge genoss. So geschickt, wie sie in Liebesdingen war, musste sie dies mit einem Manne geübt und von ihm gelernt haben, oder vielleicht von vielen Männern. Dies alles war lange vorbei und vergangen; es gab für mich keinen Grund, eifersüchtig zu sein, aber dennoch konnte ich es nicht ändern, dass ein vertrauter spitzer Stachel in einem dunklen Ort meiner Seele zu sprießen versuchte. Ich ignorierte ihn entschlossen.
»Andere, mit denen du Blut ausgetauscht hast?«, soufflierte ich.
»Ja.«
»Damit sie wurden wie du?«
»Ja. Aber als sie starben ... blieben sie in ihren Gräbern. Es funktionierte niemals.«
»Man muss sterben, damit sich die Wandlung vollzieht?«
Sie nickte. »Im Laufe der Jahre begann ich zu denken, dass ich für immer einsam sein würde, dass ich diese Existenz niemals mit jemand anders teilen würde. Wenn dies der Wahrheit entsprach, dann würde es keine Rolle mehr spielen, mein Blut mit denjenigen zu teilen, die ich wahrhaft liebte. Ich tat es zu meinem Vergnügen – zu unserem Vergnügen –, aber ich hoffte stets, dass einer von euch einfach den Tod überlisten könnte, wie ich es tat. Jonathan, du bist der Einzige von euch allen, der jemals zurückkehrte.«
Zwischen uns breitete sich
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