Der tanzende Tod
einen beifälligen Blick und wandte sich wieder an Oliver.
»Gibt es noch etwas?«
»Noch eine Sache, wie ich befürchte. Was sollen wir dem Jungen erzählen? Er wird von seinen wahren Eltern erfahren müssen, wisst ihr.«
Darauf gab Elizabeth keine Antwort. Beide blickten mich erwartungsvoll an. Ich hob meine Hände und ließ sie wieder fallen, womit ich meine völlige Hilflosigkeit anzeigte. »Ich werde darüber mit Edmond reden müssen, nehme ich an. Aber im Moment ist der Knabe erst vier Jahre alt; das Wissen wird ihm kaum etwas bedeuten oder ihm von großem Vorteil sein. Ein solches Thema kann warten, bis die richtige Zeit gekommen ist, es anzusprechen.«
»Gut gesagt«, kommentierte Oliver meine Rede. »Ich nehme an, ich mache mir zu viele Sorgen und plane zu weit voraus, als dass es jemandem nützen würde.«
»Ich glaube, es ist zu deinem Schicksal geworden, dies tun zu müssen. Du bist nun das Oberhaupt der Familie, nicht wahr?«
Er schnaubte und rollte die Augen. »Ja, Gott stehe mir bei. Sie kommen bereits auf mich zu und möchten, dass ich Streitigkeiten schlichte – oder soll ich sagen, Partei ergreife. Man sollte denken, ich sei ein Richter und kein Arzt, wenn man nach der Art ginge, wie sie unaufhörlich über ihre Zankereien reden.«
»Du wirst es richtig machen.«
»Hm. Du hast leicht reden, Vetter, du hast den ganzen Tag nichts damit zu tun. Ich wünschte, ich könnte mich im Keller verstecken, wenn sie mir mit einem neuen Problem einen Besuch abstatten.«
»Nein, das wünschtest du nicht«, sagte ich mit solch von Herzen kommender Inbrunst, dass er zu lachen begann.
»Wie bitte? Gefällt es dir nicht, den Tag hindurch zu schlafen und so den täglichen Ärger zu vermeiden?«
»Ich habe dir erzählt, dass es kein richtiger Schlaf ist –«
»Zum Kuckuck damit, du weißt, was ich meine.«
»Das weiß ich in der Tat, aber ich wäre glücklich, es mit ein wenig Ärger aufzunehmen, wenn ein wenig echtes Tageslicht diesen begleiten würde.«
Mein wehmütiger Tonfall sorgte dafür, dass er augenblicklich zerknirscht war.
»Es tut mir Leid, ich hätte zuerst nachdenken sollen, bevor –«
»Nein, das hättest du nicht. Du bist in Ordnung, so wie du bist.« Es war am besten, diesen Gedankengang abzukürzen, sonst würde mein armer Vetter sich schließlich jedes Mal entschuldigen, wenn er den Mund zu einem Scherz öffnete.
»Ich bin derjenige, der hier zu ernst ist. Ich meinte nur, dass es weise wäre, vorsichtig zu sein mit dem, was man sich wünscht. Wenn du wirklich den Tag damit verbringen willst, dich in einem feuchten Keller herumzudrücken, und niemals wieder den Geschmack von Brandy kosten möchtest –«
Er erhob mit einem entsetzten Schaudern beide Hände. »Genug, schon gut! Du verursachst mir eine Gänsehaut. Pfui!«
Unsere gute Laune war wiederhergestellt. »Gut, in Ordnung. Du hast mich an etwas erinnert. Ich habe eine Frage an dich, Elizabeth.«
Sie neigte erwartungsvoll den Kopf.
»Sage mir, liebe Schwester, warst du diejenige, die heute zu Hause einen Vorrat meiner Erde geholt hat?«
Aufgrund all der zahlreichen Ablenkungen in der vorigen Nacht hatte ich keine Zeit gefunden, zu meinem üblichen Zufluchtsort unter Olivers Stadthaus zurückzukehren, und hatte im Keller des Fonteyn-Hauses Schutz vor der Dämmerung gesucht. Dort befand ich mich zwar vor den Gefahren des Tageslichtes in Sicherheit, aber wenn mir die Erleichterung durch meinen Heimatboden verwehrt war, wurde ich jedes Mal das Opfer einer endlosen Reihe von schlechten Träumen und war nicht in der Lage, ihnen vor Sonnenuntergang zu entkommen. Dieses Mal jedoch waren die schrecklichen Träume auf mysteriöse Weise abgekürzt worden, und entgegen allen Erwartungen hatte ich den Tag in angenehmer Ruhe verbracht. Nach meinem Erwachen an diesem Abend hatte ich entdeckt, dass jemand einen Sack voller Erde neben die Stelle gelegt hatte, an der ich mir aus einem ungenutzten Weinregal ein Bett auf dem Boden bereitet hatte.
»Ich konnte nicht selber gehen – bei so viel Arbeit, wie zu erledigen war, war es einfach unmöglich wegzukommen«, erwiderte sie, »aber ich sandte Jericho eine Nachricht, er möge eine gewisse Menge herüberschicken. Was für ein Segen, dass du ihm Lesen und Schreiben beigebracht hast. Solche merkwürdigen Instruktionen dem Lakaien mündlich zu geben – nun – es gibt beim Personal ohnehin schon genügend Tratsch. Es besteht keine Notwendigkeit, noch zusätzlich dazu beizutragen.«
»In der
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