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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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daß sie vergessen zu leben.«
    »Ich kann immer genug Geld verdienen, daß wir ein Dach über dem Kopf haben und nicht verhungern müssen«, sagte Rice. »Ich kann mehr Geld verdienen als mein
alter Herr. Mein Auto ist komplett bezahlt. Es gehört von vorn bis hinten mir, da gibt es keine Debatte.«
    »Ich kann auch Geld verdienen«, sagte Annie. »Auf Arbeit wäre ich viel stolzer als auf das, was meine Eltern von mir wollen, daß ich nämlich mit vielen anderen
verwöhnten Menschen herumhänge und blöde Spiele spiele.«
    Jetzt kam ein Polizist herein und sagte Annie, ihr Vater sei am Telefon. Der Gouverneur von Indiana wollte sie sprechen.
    »Was soll Sprechen denn wohl bringen?« sagte Annie. »Ihre Generation versteht unsere Generation nicht und wird sie nie verstehen. Ich will nicht mit ihm sprechen.«
    Der Polizist ging. Er kam ein paar Minuten später zurück.
    »Ist er immer noch am Telefon?« sagte Annie.
    »Nein, Ma’am«, sagte der Polizist. »Ich soll Ihnen etwas ausrichten.«
    »Na dann«, sagte Annie. »Hoffentlich ist es gut.«
    »Ihnen soll ich das von Ihren Eltern auch ausrichten«, sagte der Polizist zu Rice.
    »Ich kann es kaum erwarten«, sagte Rice.
    »Was ich Ihnen ausrichten soll, ist folgendes«, sagte der Polizist sehr offiziell und verkniff sich dabei jeden Gesichtsausdruck. »Sie sollen bitte, wann immer Sie mögen,
in Ihrem eigenen Auto nach Hause kommen. Wenn Sie nach Hause kommen, wollen Ihre Eltern, daß Sie so bald wie möglich heiraten und mit Glücklichsein anfangen.«
    Annie und Rice trödelten mit dem alten blauen Ford nach Hause, Babyschuhe baumelten am Rückspiegel, Comics stapelten sich auf dem aufgeplatzten Rücksitz. Sie fuhren auf
Hauptverkehrsstraßen nach Hause. Niemand suchte sie mehr.
    Ihr Autoradio lief, und jede Nachrichtensendung teilte der Welt die famose Neuigkeit mit: Annie und Rice sollten sofort heiraten. Die wahre Liebe hatte einen weiteren gewaltigen Sieg
errungen.
    Als die Liebenden die Grenze zu Indiana erreichten, hatten sie die Nachricht von ihrer unbeschreiblichen Glückseligkeit ein dutzendmal gehört. Sie sahen allmählich aus wie
Warenhausverkäufer an Heiligabend, von der nicht enden wollenden frohen Botschaft erschöpft und zermürbt.
    Rice stellte das Radio ab. Annie stieß unwillkürlich einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie hatten auf der Heimreise nicht viel gesprochen. Es schien nichts zu geben, worüber
sie reden konnten: alles war so geregelt –, alles war, wie man im Geschäftsleben sagt, in trockenen Tüchern.
    Annie und Rice gerieten in Indianapolis in einen Verkehrsstau und blieben von Ampel zu Ampel neben einem Auto, in dem ein Baby plärrte. Die Eltern des Kindes waren sehr jung. Die Frau
beschimpfte ihren Mann, und der Mann sah aus, als wolle er das Steuerrad entwurzeln und ihr damit den Schädel einschlagen.
    Rice stellte das Radio wieder an, und dies sagte das Lied im Radio:
    Die hatten ja alle keinen Schimmer,
    Fanden unsere Liebe zu kümmerlich.
    Jetzt, Baby, für immer und immer
    Hast du mich, und ich hab’ dich.
    In gelinder Raserei, und während Annies Nerven immer blanker zutage traten, stellte Rice einen Sender nach dem anderen ein. Jeder Sender krakeelte entweder von Siegen oder
von Niederlagen der Teenager-Liebe. Und genau darüber krakeelte das Radio auch, als der alte blaue Ford in der Einfahrt der Gouverneursvilla hielt.
    Nur eine Person kam heraus, um sie zu begrüßen, und das war der Polizist, der die Tür bewachte. »Herzlichen Glückwunsch, Sir ..., Madam«, sagte er
höflich.
    »Danke«, sagte Rice. Mit dem Zündschlüssel stellte er alles ab. Die letzte Illusion von Abenteuer starb, als die Radioröhren ihr Glimmen verloren und der Motor sich
abkühlte.
    Der Polizist öffnete die Tür auf Annies Seite. Die Tür quietschte rostig. Zwei lose Gummibären kamen aus der Tür gewabbelt und fielen auf den makellosen schwarzen
Straßenbelag.
    Annie, immer noch im Auto, sah auf die Gummibären hinunter. Einer war grün. Der andere war farblos. Es klebten kleine Stoffussel an ihnen. »Rice?« sagte sie.
    »Hm?« sagte er.
    »Es tut mir leid«, sagte sie, »ich kann damit nicht mehr weitermachen.«
    Rice pfiff wie ein weit entfernter Güterzug. Er war dankbar für die Erlösung.
    »Könnten wir uns bitte allein unterhalten?« sagte Annie zu dem Polizisten.
    »Bitte um Verzeihung«, sagte der Polizist, als er sich zurückzog.
    »Hätte es geklappt?« sagte Annie.
    Rice zuckte die Achseln. »Erst mal«, sagte

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