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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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der Frau?«
    »Tja«, sagte ich, »wir haben alle gewußt, daß dich was am Kopf getroffen hatte. Niemand ist darauf gekommen, was es war.«
    »Das Buch hat wochenlang im Haus herumgelegen«, sagte er. »Sheila hat es gelesen. Zuerst habe ich überhaupt nicht drauf geachtet. Und dann haben wir eines Abends Kanal
Zwei gesehen.« Kanal Zwei ist das Bildungsfernsehen in Boston. »Da wurde die Diskussion von irgendwelchen College-Professoren über die verschiedenen Theorien zur Entstehung des
Sonnensystems gezeigt. Sheila brach plötzlich in Tränen aus, sagte, ihr Gehirn sei zu Matsch geworden und sie wisse rein gar nichts mehr über irgendwas.«
    Herb machte die Augen wieder auf. »Mir fiel nichts Tröstendes ein. Sie ging ins Bett. Das Buch lag auf dem Tisch, wo sie gesessen hatte. Ich habe es genommen, und es klappte auf der
Seite auf, aus der du vorgelesen hast.« »Herb«, sagte ich, »dies geht mich zwar nichts an, aber ...«
    »Es geht dich was an«, sagte er. »Bist du nicht Präsident der AL?«
    »Du glaubst doch wohl nicht, daß es so was wirklich gibt!« sagte ich.
    »Für mich«, sagte er, »sind die Anonymen Liebhaber so real wie die Veteranenverbände. Wie würde es dir gefallen, wenn es einen
Klub gäbe, dessen einziger Zweck es ist, dafür zu sorgen, daß du deine Frau richtig behandelst?«
    »Herb«, sagte ich, »ich gebe dir mein Ehrenwort ...«
    Er ließ mich nicht ausreden. »Mir ist jetzt, zehn Jahre zu spät, klar geworden«, sagte er, »daß ich das Leben dieser wunderbaren Frau ruiniert habe, daß
ich sie dazu gebracht habe, all ihre Intelligenz und ihr Talent zu verschwenden –, und worauf?« Er zuckte die Achseln und breitete die Hände aus. »Darauf, einem
Kleinstadtbuchhalter, der kaum einen Schulabschluß geschafft hat und der nie etwas anderes sein wird als an seinem Hochzeitstag, den Haushalt zu führen.«
    Er haute sich mit dem Handballen gegen den Kopf. Ich glaube, er bestrafte sich, oder vielleicht versuchte er, sein Gehirn zur Arbeit anzuhalten. »Also«, sagte er, »hiermit
ziehe ich euch alle, alle Anonymen Liebhaber, die ich erreichen kann, zu Rate, damit ihr mir helft, alles wieder ins Lot zu bringen. Nicht daß ich ihr jemals zehn vergeudete Jahre
zurückgeben könnte. Wenn wir den Anbau instand gesetzt haben, bin ich wenigstens nicht mehr ständig im Wege und erwarte, daß sie für mich kocht und näht und den
ganzen anderen blöden Kram macht, den ein Ehemann von einer Hausfrau erwartet. Ich werde ein eigenes kleines Haus haben«, sagte er, »und ich werde meine eigene kleine Hausfrau
sein. Und wann immer Sheila dazu Lust hat, kann sie kommen und an meine Tür klopfen und feststellen, daß ich sie noch liebe. Sie kann wieder anfangen, Bücher zu studieren, und
Ozeanographin werden oder was sie will. Und wenn Heimwerkerarbeiten in ihrem großen, alten Haus anfallen, wird ihr heimwerkender Nachbar – ich – sich
überglücklich schätzen, sie ausführen zu dürfen.«
    Sehr schweren Herzens fuhr ich am frühen Nachmittag zu Herbs Haus, um die Fenster des Anbaus auszumessen. Herb war in seinem Büro. Die Zwillingsmädchen waren in der Schule. Sheila
schien auch nicht zu Hause zu sein. Ich klopfte an die Küchentür, und die einzige Antwort, die ich bekam, gab die Waschmaschine.
    »Wuusch, glupp, ratter, schlupp.«
    Da ich ohnehin schon mal da war, beschloß ich sicherzustellen, daß die Fleetwoods, die ich bereits eingebaut hatte, glatt funktionierten. Deshalb sah ich zufällig durch das
Wohnzimmerfenster und bemerkte Sheila auf der Couch. Auf dem Fußboden lagen Bücher. Sie weinte.
    Als ich zum Anbau kam, konnte ich sehen, daß Herb da drin bereits heftig Haus gespielt hatte. Auf dem Kaminholz hatte er einen kleinen Petroleumkocher aufgebaut, und daneben standen
Töpfe und Pfannen und Konservendosen.
    Da stand ein Lehnsessel mit verstellbarer Rückenlehne, wie William Morris ihn entworfen hatte, darüber hing eine Benzinlaterne, und daneben stand ein großer Hackklotz, auf dem
Herb seine Pfeifen und Zeitschriften und seinen Tabak angeordnet hatte. Sein Matratzenlager war auf dem Fußboden, aber es war ordentlich gemacht, mit Laken und allem Drum und Dran. An den
Wänden waren Fotos von Herb beim Barras, Herb in der Baseball-Schulmannschaft und eine riesenhafte Farbreproduktion von General Custers letzter Schlacht.
    Die Tür zwischen Anbau und Haupthaus war verschlossen, und ich nahm mir die Freiheit, durch ein Fenster einzusteigen, ohne das Gefühl zu

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